Zeichnung

Studie zur Maria der Verkündigung des Isenheimer Altars

Bis auf Eberhard Ruhmer, der die Verbindung dieser Studie zur Verkündigungsmaria des Isenheimer Altars als unspezifisch eingeschätzt und sie ganz an den Beginn von Grünewalds künstlerischem Schaffen gesetzt hat, wird die kleine Zeichnung allgemein und zutreffenderweise als direkte Vorstudie zur Colmarer Bildtafel angesehen. Sie zeigt die nach rechts kniende, im Moment der Verkündigung in heftiger Torsionsbewegung abrupt über ihre Körperachse nach hinten zurückweichende Maria. Den en face gegebenen Kopf wirft sie dabei heftig zur Seite und reißt ihre leicht zum Körper geneigten, zum Gebet zusammengelegten Hände in die Höhe. Über dem eng an Körper und Arme geschmiegten Gewand trägt die Jungfrau einen vor der Brust mit gekreuzten Riemchen gehaltenen, weit ausgebreiteten Mantel, der sich in schwere, tief gemuldete Falten legt. Grünewald verfolgt die von scharfem Seitenlicht gestreifte Faltenstruktur des Stoffes bis in die Stoffsenken hinein und modelliert noch weit im Innern der Mulden verborgene Faltenschübe. Das Ergebnis ist eine extrem skulptural und haptisch wirkende, tief zerklüftete Gewandfigur, die den Gedanken an zeitgenössische plastische Kleinbildwerke wachruft. Der Vergleich mit der ausgeführten Tafel des Isenheimer Altars läßt keinen anderen Schluß zu, als daß wir hier eine direkte Vorstudie zur später ausgeführten Verkündigungsmaria vor uns haben. Teilweise stimmen sogar die Binnendellungen innerhalb der Faltenberge überein.Markante Abweichungen in den Saumverläufen und letztendlich auch in der Handhaltung der Marienfiguren sowie im später stärker betonten Motiv des geöffneten Buchs, schließen ein umgekehrtes Verhältnis aus, etwa als Dokumentationszeichnung. Der rechte Ellbogen der Jungfrau ist in der Ausführung nicht mehr in den Mantel gehüllt, statt dessen schiebt er nun den gut erkennbaren roten Mantelsaum nach hinten. Die vom übrigen Stoff farbig abgesetzte Saumkante ist auf der Zeichnung bereits als schmaler Streifen markiert, jedoch am Boden noch nicht so ornamental geschwungen geführt, wie auf der Bildtafel. Vor allem aber ist der Gesamteindruck der Figur in der gemalten Ausführung ein anderer. Aus der gedrungenen, durch den schweren Mantel mit unterschiedlich stark belichteten Falten gehüllten, ja fast darin verschwindenden Figur wurde im Gemälde eine im Oberkörper wesentlich gelängte, schlank aufwachsende Frauengestalt mit einem relativ breiten, flächigen Gesicht. Schlußendlich lassen sich auch Veränderungen in der Raumverspannung feststellen.Die Truhe ist näher herangerückt, so daß auch der Saumverlauf des Mantels nun steiler und kompakter in die Höhe führt und so dieVertikalisierung der Gesamtanlage weiter unterstreicht. Das Möbel vor Maria wurde zudem in eine veränderte Position gedreht, und ein weiteres, geschlossenes Buch unter das aufgeschlagene gelegt. Dieses leitet zum schräger liegenden Buch mit aufwehenden Seiten über. Zwischen Zeichnung und Endfassung vermittelt eine im Infrarotreflektogramm dieser Tafel verhältnismäßig gut sichtbare Unterzeichnung auf der Grundierung. Sie belegt, daß gewisse Anpassungen später noch auf der grundierten Malfläche selbst vorgenommen werden konnten. Text: Michael Roth: Matthias Grünewald. Die Zeichnungen. Im Auftrag des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft herausgegeben von Rüdiger Becksmann. Berlin 2008, S.42, Kat. 11 (mit weiterer Literatur)

Urheber*in: Grünewald, Matthias / Fotograf*in: Jörg P. Anders / Rechtewahrnehmung: Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin

Namensnennung - Nicht kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland

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Standort
Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, Berlin
Inventarnummer
KdZ 12037
Maße
Höhe x Breite: 16,1 x 14,7 cm
Material/Technik
Schwarze Kreide

Klassifikation
Zeichenkunst

Ereignis
Herstellung
(wann)
um 1510 - 1515
Ereignis
Herstellung
(wer)

Rechteinformation
Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin
Letzte Aktualisierung
07.04.2025, 07:53 MESZ

Datenpartner

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Objekttyp

  • Zeichnung

Beteiligte

Entstanden

  • um 1510 - 1515

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