Bestand

Kammergericht (Bestand)

Findmittel: Datenbank; Findbuch, 4 Bde

I Vorwort

1. Behördengeschichte

Als periodisch am fürstlichen Hof tagendes Gericht ist das Kammergericht seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts greifbar. Eine erste Erwähnung fällt in das Jahr 1468. Es setzte sich aus Vertretern des Fürsten und der Stände zusammen, worin bereits die spätere Aufteilung in Herren- und Gelehrtenbank erkennbar wird, die bis 1748 Bestand haben sollte. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde es zum obersten Gerichtshof des Kurfürstentums ausgebaut.
Über die Gerichtsverfassung zur Frühzeit des Kammergerichts sind wir kaum unterrichtet. 1516 wurden erste Anstrengungen unternommen, eine Ordnung für das Kammergericht auf den Weg zu bringen. Sie führten jedoch zu keinem konkreten Ergebnis. Immerhin ist erkennbar, dass das Römische Recht in Brandenburg rezipiert und zur Grundlage des Landrechtes wird. 1540 gipfeln die Bemühungen um eine Gerichtsordnung für das Kammergericht schließlich in der Reformation Churfürstlicher gnaden zu Brandenburg Cammergerichts zu Cöln an der Sprew. Zu den Errungenschaften dieser Ordnung zählt die Etablierung des Kammergerichts als ständig tagende Einrichtung im Schloss zu Cölln an der Spree. Außerdem wird nun der Grundsatz der Schriftlichkeit der Verhandlungen eingeführt. Schriftsätze werden beim Kammergericht schriftlich eingereicht und bearbeitet. Die Prozessparteien müssen nicht mehr aus der Provinz in die Residenzstadt reisen, um eine Entscheidung herbeizuführen. Als Rechtsmittel wird die Supplikation an den Landesherren etabliert, die jedoch nur zeitweise vom Kammergericht, zeitweise auch von anderen Behörden bearbeitet wird.
Als 1539 die Reformation in der Kurmark eingeführt wurde, ging die Gerichtsbarkeit in geistlichen Sachen auf den Kurfürsten über, der sie dem Cöllnischen Konsistorium übertrug. Dieses Konsistorium war bis zu seiner Verselbstständigung im Jahre 1573 ein Teil des Kammergerichts. Im späten 16. und fast das gesamte 17. Jahrhundert über stagnierte die Entwicklung des Kammergerichts jedoch. Während die von den brandenburgischen Hohenzollern beherrschten Territorien wuchsen, erweiterte sich der Sprengel des Kammergerichts nicht. Im Gegenteil: Seit unter der Herrschaft des Markgrafen Johann in der Neumark nach 1553 ein separates Obergericht, die neumärkische Regierung, entstanden war, fiel die Neumark aus dem Sprengel des Kammergerichts heraus. Auch verliefen Bestrebungen im Sande, dem Kammergericht nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges eine zeitgemäße Ordnung zu verleihen und bestehende Missstände abzustellen.
Bedingt durch den Umbau des Schlosses, der im Jahre 1698 begann, musste eine neue Unterkunft für das Kammergericht gesucht werden. Zusammen mit dem Konsistorium bezog es die ehemalige Dompropstei an der Brüderstraße, die ab sofort als Kollegienhaus bezeichnet wurde. Dies entsprach dem allgemeinen Trend der Zeit, Hof und Verwaltung institutionell und räumlich stärker zu trennen.
Es blieb dem Großkanzler von Cocceji vorbehalten, im Zuge seiner umfassenden Reformbestrebungen mit dem Justizwesen auch das Kammergericht neu zu ordnen, wobei er sich vor allem um eine Zentralisierung der märkischen Obergerichte unter seiner Leitung bemühte. Schon 1735 war das Kammergericht zusammen mit dem Oberappellationsgericht, dem Ravensburger Tribunal, dem Bauamt und der Lehnskanzlei in das neu errichtete Kollegienhaus in der Lindenstraße auf dem Friedrichswerder gezogen. 1738 wurde eine Unterteilung des Gerichts in drei Senate beschlossen: Der erste Senat führte weitestgehend das alte Kammergericht fort. Ihm zugeordnet wurde als zweiter Senat ein Hilfssenat, der ihn in seinen Geschäften unterstützen sollte. Im dritten Senat ging das zuvor selbständige Kriegs-, Hof- und Kriminalgericht auf, jedoch unter Fortfall der militärischen Zuständigkeiten.
Das Kriegs-, Hof- und Kriminalgericht war 1718 durch die Zusammenlegung der Hausvogtei, des Berliner Gouvernements und des Generalauditoriats als niederem und höchstem Militärgericht der Residenzstadt entstanden. Ihm oblag eine Mischung aus Zivil- und Strafrechtssachen. Es war zuständig für kleinere Zivilsachen der Hofbedienten und für die Grundbücher der Freihäuser - eine Kompetenz, die traditionell die Hausvogtei ausgeübt hatte. Zudem fungierte das Kriegs-, Hof- und Kriminalgericht als Strafgericht für die Exemten. Außerdem unterstand dem Hausvogt, den es als Amtsträger innerhalb des Kammergerichts weiterhin gab, die Aufsicht über die Hausvogtei als Untersuchungsgefängnis.
Diese erste Reform war jedoch keinesfalls Coccejis letztes Wort. Weitere Umorganisationen folgten 1746 und 1748, wobei man sich vor allem darum bemühte, den Instanzenzug zwischen den Senaten des Kammergerichts einerseits, und zwischen dem Kammergericht und den nachgeordneten Gerichten der Kurmark klarer zu regeln. Im Zuge dessen wurde 1748 die Aufteilung in eine Herren- und Gelehrtenbank aufgehoben, die noch in der Ordnung von 1738 für die ersten beiden Senate bekräftigt worden war, und das Kammergericht wurde zur ersten Instanz für Konsistorialprozesse. Damit erhielt es Zuständigkeiten zurück, die es bis 1573 schon einmal besessen hatte.
Zudem wurde das Oberappellationsgericht in das Kammergericht eingegliedert. Es war gegründet worden, nachdem 1698 für die im Reich gelegenen nichtmärkischen Territorien der Hohenzollern die Befreiung vom Reichskammergericht erlangt worden war. Den Untertanen der betroffenen Territorien stand es nun nicht mehr frei, sich in strittigen Rechtsfragen an ein Reichsgericht zu wenden. Für diese Territorien wurde nun das Oberappellationsgericht als letzte Instanz aus der Taufe gehoben. Der Kurfürst konnte auf diese Weise seine Souveränitätsbestrebungen in rechtlicher Hinsicht abrunden. Dem Kammergericht einverleibt wurde ferner das Ravensberger Tribunal und der Geheime Justizrat, der für Strafsachen zuständig war, an denen Mitglieder des Königlichen Hauses, hohe Würdenträger und hohe preußische Diplomaten als Prozesspartei beteiligt waren. So erlangte das Kammergericht auch wieder Zuständigkeiten für bestimmte Materien außerhalb der Kurmark, ohne dass sein Sprengel generell erweitert worden wäre.
Mit der Reform des Jahres 1748 wurde auch das Pupillenkolleg als Teil des Kammergerichts ins Leben gerufen. Die Einrichtung mit dem - aus heutiger Sicht - eigentümlichen Namen (lat. pupilla = Waise), trat als Aufsichtsbehörde über die dem Kammergericht unmittelbar unterstellten Mündel sowie über die von den kurmärkischen Untergerichten geführten Vormundschaften auf den Plan. Prozessuale Tätigkeiten oblagen der Stelle nicht. Vielmehr erhoffte man sich, durch die Einrichtung des Kollegs, die Zahl der vor Gericht verhandelten Vormundschaftssachen zu reduzieren.
Wie schwer diese Neuordnung auch durchzusetzen gewesen sein mag, blieb sie doch wegweisend für die zukünftige Entwicklung des Kammergerichts. Auch die Geschäftsverteilung von 1782 baute letztlich auf den früheren Bestimmungen auf. Das Kammergericht wurde nun in einen Instruktions- und einen Oberappellationssenat untergliedert. Der Instruktionssenat war das Obergericht der Kurmark und unterteilte sich in eine Kriminal- und eine Zivildeputation. Außerdem oblag ihm die Oberaufsicht über die kurmärkischen Untergerichte. Der Oberappellationssenat war dagegen in zweiter Instanz für die Obergerichte der verschiedenen märkischen Landesteile zuständig. Die Hausvogtei wurde aus dem Kammergericht jedoch wieder ausgegliedert.
Die Unterscheidung zwischen Instruktions- und Oberappellationssenat wurde auch im 19. Jahrhundert beibehalten. Das beweist ein Blick auf die Kammergerichtsordnung aus dem Jahre 1845. In die Zuständigkeit des Instruktionssenats fiel u.a. die freiwillige Gerichtsbarkeit sowie die Oberaufsicht über die Untergerichte der Kurmark und der Grafschaft Stolberg-Wernigerode. Außerdem fungierte er als Lehnskurie und - einmal mehr - als Hausvogteigericht. Zivil- und Kriminalsenat blieben der Sache nach bestehen. Das Pupillenkolleg war weiterhin eine eigene Stelle innerhalb des Kammergerichts.
Gesamtstaatliche Zuständigkeiten fielen dem Kammergericht infolge der Demagogenverfolgung nach dem Frankfurter Wachensturm zu. Die Ermittlungen wurden von der Bundeszentralbehörde in Frankfurt/Main geleitet. In Preußen wurde der Kriminalsenat des Kammergerichts mit den Kompetenzen eines Staatsgerichtshofs versehen, der Hochverratssachen für das gesamte Staatsgebiet verhandeln durfte. Um die Zusammenarbeit zwischen Staatsgerichtshof und Bundeszentralbehörde zu gewährleisten, wurde eine Ministerialkommission eingerichtet, die auch über die Anklageerhebung entschied, und somit Herrin des Verfahrens war.
Überhaupt war mit der Demagogenverfolgung ein neues Zeitalter für das Kammergericht angebrochen. Es sah sich nun mit Massenverfahren konfrontiert, in denen gegen mehrere hundert Personen gleichzeitig ermittelt werden musste, deren Fälle miteinander verschränkt waren. Da es bis zur Jahrhundertmitte keine Staatsanwaltschaft gab, koordinierte der Staatsgerichtshof sowohl das Ermittlungsverfahren wie auch die Urteilsfindung. Das schlug sich auch in der Aktenführung nieder: Einerseits wurden nach Burschenschaften angelegte Aktenserien geführt, in denen die Ermittlungsergebnisse zusammengeführt wurden, andererseits Verfahrensakten nach Einzelpersonen. Dabei war man wohl bestrebt, den Querverbindungen zwischen den Studenten zu folgen und verband die Einzelverfahren miteinander unter dem Namen eines ‚Anführers' oder einer Person, die den Ausgangspunkt der Ermittlungen darstellte. Alle weiteren Einzelverfahren wurden als Spezialakten zu diesem ‚Leitverfahren' geführt. Daneben wurden aber auch unverbundene Verfahrensakten angelegt.
Die Massenverfahren gegen die Mitglieder von Studentenverbindungen fanden in der zweiten Jahrhunderthälfte ihre Fortsetzung in den Massenverfahren gegen aufständische Polen und die Teilnehmer an den revolutionären Unruhen im Berlin der Jahrhundertmitte. Was aus Sicht der bürgerlich-liberalen Historiographie üblicherweise als repressive Maßnahme eines spätabsolutistischen Machtstaates dargestellt wird, brachte jedoch für das Rechtswesen durchaus Fortschritte. So wurde im Zuge der ‚Polenprozesse' 1846 nicht nur die öffentliche, mündliche Verhandlung eingeführt, die in Preußen zuvor unbekannt war, sondern auch die Weichen für eine Trennung der Exekutiven von der Judikativen gestellt. Zur Koordination der polizeilichen Ermittlungen sowie zur Anklageerhebung wurde ein Staatsanwalt eingesetzt, während die gerichtliche Behandlung der Verfahren separaten Anklage- und Urteilssenaten übertragen wurde.
Der Staatsgerichtshof wurde 1879 aufgehoben. Danach bestand das Kammergericht als Oberlandesgericht der Provinz Brandenburg bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges fort und fungiert seitdem als Oberlandesgericht des Landes Berlin.

2. Bestandsgeschichte

Die wechselhafte Geschichte des Kammergerichts, in das andere Gerichte wiederholt ein- und ausgegliedert wurden und welches zeitweise als Landesgericht für die Kurmark bzw. die Provinz Brandenburg, dann wieder als preußischer Staatsgerichtshof anzusprechen ist, hat die Bestandsbildung stark beeinflusst. Als die Akten - wohl zu Beginn des 20. Jahrhundert - an das Geheime Staatsarchiv abgegeben wurden, hat man sie nach Zuständigkeit geschieden in zwei verschiedenen Hauptgruppen aufgestellt: Zuerst gelangten Akten ins Archiv, die aus der Tätigkeit des Kammergerichts als preußisches Staatsgericht bzw. als oberstes Landesgericht für Preußen in Verbindung standen. Sie wurden als Rep. 97 den in der I. Hauptabteilung aufgestellten Zentralbehörden zugeordnet. Als in späteren Jahren Unterlagen mit brandenburgischen Bezügen hinzukamen, wurden diese getrennt davon als Rep. 4A unter den Beständen der Provinz Brandenburg, die in der X. Hauptabteilung versammelt waren, aufgestellt. Das Provenienzprinzip wurde also auf die Bestandsbildung noch nicht voll angewendet. Man räumte der Pertinenz, als dem Bezug zu einer bestimmten Sache, ein erhebliches Gewicht ein. Als Findmittel standen zunächst die Abgabeverzeichnisse sowie ein von Ernst Friedländer angelegter Indexband zur Verfügung. Aus der Beständeübersicht des Geheimen Staatsarchivs von 1939 geht hervor, dass zu diesem Zeitpunkt mit einer Verzeichnung auf Karteikarten begonnen worden war.
Zumindest die Akten, die in der I. HA Rep. 97 aufgestellt wurden, waren bei der Abgabe weitgehend ungeordnet und wurden auch im Zuge der archivischen Bearbeitung nicht geordnet. Der Bestand I. HA Rep. 97 wurde in insgesamt zwölf mit römischen Ziffern bezeichneten Systematikgruppen unterteilt, die in der Beständeübersicht aus dem Jahre 1934 nachgeschlagen werden können (siehe Ernst Müller und Ernst Posner (Bearb.), Übersicht über die Bestände des Geheimen Staatsarchivs zu Berlin Dahlem, Bd. 1: I. Hauptabteilung, Leipzig 1934, S. 138f.). Der Bestand X. HA Rep. 4a wurde dagegen in zehn mit arabischen Ziffern bezeichneten Systematikgruppen aufgegliedert (siehe Reinhard Lüdicke (Bearb.), Übersicht über die Bestände des Geheimen Staatsarchivs zu Berlin Dahlem, Bd. 3: X.-XI. Hauptabteilung, Leipzig 1939, S. 24ff.).
Die Akten des Bestands X. HA Rep. 4a, die das Kammergericht als Obergericht der Provinz Brandenburg hervorgebracht hat, verblieben mit Ausnahme der Sentenzbücher während des Zweiten Weltkrieges im Geheimen Staatsarchiv in Berlin. Zwar überstanden sie den Krieg unbeschadet, ein erheblicher Bestandteil wurde jedoch, wie es im Findbuch aus dem Jahre 1951 heißt, "bei der Eroberung Berlins durch die Russen verbrannt." Eine Übersicht über die vernichteten Akten ermöglichen die vor dem Kriege angefertigten Karteikästen (jetzt GStA PK, I. HA Rep. 97 Nr. 2168 und 2169). Die erhaltenen Akten wurden bis 1951 von Berthold Schulze auf der Grundlage der Vorarbeiten von Dr. Herta Mittelberger und Reinhard Lüdicke in einem neuen Findbuch erschlossen.
Der Bestand I. HA Rep. 97 und die Sentenzenbücher der X. HA Rep. 4a wurden im Zweiten Weltkrieg dagegen ausgelagert. Es handelte sich um insgesamt 379 Aktenpakete, die nach Staßfurt gebracht wurden. Was sie enthielten, ging aus der Auslagerungsliste nicht hervor. Ein Karton mit Untersuchungsakten und zwei Kartons zum Hochverratsverfahren gegen Heinrich Ludwig Tschech verblieben jedoch im Geheimen Staatsarchiv. Die ausgelagerten Akten gelangten nach dem Zweiten Weltkrieg ins Deutsche Zentralarchiv II, Merseburg.
Da die Abgabeverzeichnisse jedoch nicht vorhanden waren, wurde 1953 von Siegrun Thiele ein neues Findbuch erarbeitet. Die Vorkriegssystematik wurde beibehalten, so dass die Akten den acht Gruppen Sentenzbücher, Collectanea des Geheimen Justizrats, Burschenschaftliche Verbindungen, Polen-Prozesse, Oberstaatsanwalt, Akten betr. die Steuerverweigerung von Mitgliedern der Nationalversammlung 1848, Politische Prozesse/Hoch- und Landesverrat sowie Politische Prozesse/Unters.-Akten der Staatsanw. zugeordnet wurden. Eine weitere Untergliederung des Bestandes wurde nicht vorgenommen, weshalb der registraturmäßige Zusammenhang der Akten nicht nachvollziehbar wurde. Die Titel wurden trotz ihrer zeitgemäßen Umständlichkeit von den Akten offenbar weitgehend ungeprüft abgeschrieben. Immerhin wurde für die Suche nach bestimmten Personen ein Index angelegt.
Bereits 1954, als der Bestand neu erschlossen wurde, befand sich ein Teil des Teilbestands X. HA Rep. 4a im Brandenburgischen Landeshauptarchiv. Es handelte sich dabei um Testaments- und Nachlassregistraturen. Im Zuge der Bestandsabgrenzungen zwischen dem Deutschen Zentralarchiv, Abt. Merseburg, und dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv im Jahre 1963 wurden die Sentenzbücher nach Potsdam überführt. Die Akten über die politischen Prozesse verblieben in Merseburg, das es sich bei ihnen um Unterlagen des Kammergerichts als preußischer Staatsgerichts handelte. Diese Akten wurden nach der Auflösung des Deutschen Zentralarchivs 1994 in das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz abgegeben. Die Kammergerichtsakten, die nach dem Zweiten Weltkrieg ins Brandenburgische Landeshauptarchiv gelangten, sind weiterhin dort einsehbar.
Bei der Erschließung der beiden Teilbestände in Berlin-Dahlem und Merseburg nach 1945 wurden die Systematikgruppen in die Signaturen einbezogen. Außerdem wurden bei der Erschließung im Deutschen Zentralarchiv teilweise mehrere Akten unter einer Signatur verzeichnet, ohne dass dies aus dem Findbuch hervorgeht. Nach der Zusammenführung der Teilbestände im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz kam es deshalb wiederholt zu Irrtümern und Fehlern beim Ausheben der Akten. Aus diesem Grunde führte U. im Jahre 2009 eine Revision des Bestandes durch. Gleichzeitig wurde der Bestand neu signiert und die Erschließungsangaben wurden in eine Datenbank überführt und überarbeitet. Anschließend wurde der Bestand neu klassifiziert. Die gegenwärtige Klassifikation basiert nicht mehr auf den erwähnten großen Gruppen, sondern lehnt sich an die Organisation des Kammergerichts im 18. und 19. Jahrhundert an. Da die Masse der Überlieferung aus dem 19. Jahrhundert stammt, bot es sich an, auf die seit 1782 etablierte und 1848 bestätigte Teilung zwischen Instuktionssenat und Oberappellationssenat zurückzugreifen. Auch die inkorporierten oder zu verschiedenen Zeitpunkten beim Kammergericht angesiedelten Stellen (Geheimer Justizrat, Pupillenkolleg, Staatsanwaltschaft usw.) wurde in der Klassifikation entsprechend berücksichtigt. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, den aktenmäßigen Zusammenhang der einzelnen Verfahren, insbesondere der Massenverfahren des 19. Jahrhunderts, deutlicher hervortreten zu lassen als in den älteren Findmitteln.

3. Bestandsanalyse

Die Überlieferung von Gerichten gliedert sich üblicherweise in Organisations- und Verfahrensakten. Was das Kammergericht angeht, so liegt der Schwerpunkt der Überlieferung eindeutig auf den Verfahrensakten des 19. Jahrhunderts. Organisationsakten sind dagegen nur zu einem kleinen Teil überliefert, wobei zwei große Blöcke deutlich hervortreten, und zwar die Personalakten und die Oberaufsicht über die Untergerichte der Kurmark bzw. der Provinz Brandenburg. Die Personalakten umfassen die Ausbildungsakten von Referendaren genauso wie die Dienstakten der Richter und der zugelassenen Rechtsanwälte. Die Akten über die Oberaufsicht behandeln vor allem die Einrichtung und Verwaltung der Gerichte, Einstellungssachen sowie Visitationen und Disziplinarangelegenheiten.
Bei den Verfahrensakten handelt es sich um massenhaft gleichförmiges Schriftgut. Pro Fall, pro Verfahren wird unter dem Namen des Betroffenen eine Akte angelegt, die die Verfahrensdurchführung dokumentiert. Sie untergliedern sich in Zivil- und Kriminalverfahren. Streitige Zivilverfahren befinden sich kaum im Bestand. Es überwiegen Sachen, die aus heutiger Sicht der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzurechnen werden: Sie betreffen Stiftungen, Hypotheken, Lehnssachen, die Grundbuchverwaltung der Freihäuser sowie die vom Pupillenkolleg beaufsichtigen Vormundschaften. Hervorzuheben ist, dass bei der Bestandsbildung offenbar großer Wert auf besondere Verfahren gelegt wurde, die sich in umfangreichen Aktenserien niedergeschlagen haben. Bei den Fällen des Pupillenkollegs ragt etwa die Vormundschaft über die Erben des jüdischen Bankiers Aron Meyer Kornicker mit rund 50 Akten sowie die über die Erben des Rittmeisters a.D. Ernst Karl Samuel von Bredows auf Landin mit über 90 Akten hervor. Bei den Nachlasssachen ist nur der Anfangsbuchstabe B erhalten.
Bei den Kriminalverfahren sind, von einem Sittlichkeitsdelikt abgesehen, nur politische Prozesse erhalten, die vom Kriminalsenat als Staatsgerichtshof verhandelt wurden. Die alltägliche Kriminalität schlägt sich in der Überlieferung somit nicht nieder. Umfangreiche Aktenserien belegen die großen politischen Ereignisse des 19. Jahrhunderts: die Zeit der burschenschaftlichen Feste, des Aufstandes zur Wiederherstellung des polnischen Staates 1863, der revolutionären Unruhen in Berlin 1847/48; aber beispielsweise auch das Vorgehen gegen die Mitglieder der Welfenlegion nach dem Anschluss des Königreichs Hannover an Preußen.
Nach der Etablierung der Staatsanwaltschaft beim Kammergericht Berlin gibt es teilweise zwei Überlieferungsstränge: den gerichtlichen und den staatsanwaltschaftlichen. Im Gegensatz zur Überlieferung moderner Strafverfahren gilt jedoch noch nicht, dass die staatsanwaltschaftliche Überlieferung die vollständigere ist. Im Gegenteil: Gerade die personenbezogenen Fallakten der Staatsanwaltschaft am Kammergericht fallen überwiegend äußerst schmal aus. Die aussagekräftigere Überlieferung ist daher beim Kriminalsenat zu suchen.
Bei den Massenverfahren des Staatsgerichts gilt es zu bedenken, dass die Aktenführung in zwei Teile zerfällt: Einerseits wurden die Ermittlungsergebnisse in Generalakten zusammengeführt, daneben wurden aber auch personenbezogene Spezialakten geführt. In der Registratur des Kammergerichts wurden die Massenverfahren jedoch - im Gegensatz zum vorliegenden Inventar - nicht nach Ereignissen oder Delikten geordnet, sondern ausschließlich nach dem Namen der beteiligten Personen. Um dennoch den Zusammenhang der miteinander verbundenen Akten einer - aus Sicht des Gerichts - Tätergruppe zu wahren, wurden sowohl die Generalakten als auch die personenbezogenen Spezialakten an den Namen eines ‚Leitverfahrens' geknüpft. So wurden etwa mit dem Verfahren gegen den Studenten Karl Heinrich Brüggemann zahlreiche Verfahren gegen andere Personen verbunden, die vom Gericht als ‚Consorten' bezeichnet wurden. Schon in der gerichtlichen Aktenführung ist also die These angelegt, die Beschuldigten hätten sich ‚bandenmäßig' als ‚Anführer' und ‚Komplizen' konstituiert - eine These, die im Zuge einer Auswertung der Akten kritisch zu überprüfen wäre. Dementsprechend handelt es sich bei Akten, die das Verfahren gegen "Brüggemann und Mitbeschuldigte" thematisieren, um die Generalakten des Prozesses.
Wie bereits erwähnt, war eine weitere große Organisationseinheit des Kammergerichts der Oberappellationssenat. Bis auf wenige Ausnahmen aus dem 18. Jahrhundert sind jedoch keine Unterlagen überliefert, die diesem Senat zugeordnet werden können.

4. Benutzungshinweise

Ordnung der Verzeichnungseinheiten innerhalb der Systematikgruppen
- Sachakten: Vom Allgemeinen zum Besonderen
- Verfahrensakten: Alphabetisch nach dem Namen des Beklagten bzw. Betroffenen

Personennamen
- Nachnamen: laut Aktendeckel/Altfindbuch
- Vorname: laut Aktendeckel/Altfindbuch, aber normalisiert (z.B. immer Karl, statt Carl und Karl)
- polnische Nachnamen: laut Aktendeckel, jedoch ohne diakritische Zeichen
- polnische Vornamen: laut Aktendeckel, d.h. in germanisierter Form (z.B. Joseph statt Jerzy)

Ortsnamen
- Ortsnamen wurden überprüft und unter Zusatz der Provinz in der heute gebräuchlichen Orthographie wiedergegeben. Ist der Ortsname Bestandteil der Behördenfirma (z.B. Stadtgericht Potsdam), so entfällt der Zusatz der Provinz.
- Ortsnamen ohne Angabe der Provinz: Schreibweise überprüft und modernisiert, aber die Provinz konnte wegen mehrfachem Vorkommens des Ortsnamens nicht mit Gewissheit bestimmt werden.
- Ortsname in Anführungsstrichen: Ortsname nicht identifiziert, Schreibweise vom Aktendeckel/Altfindbuch übernommen.

Berufe und Termini technici:
- Berufe und Termini technici wurden soweit möglich modernisiert. Wo dies zweckdienlich erschien, wurde der Quellbegriff in normalisierter Schreibung dazugesetzt (z.B. Aktuarius, nicht Actuarius).

5. Literatur

Zum Kammergericht
- Friedrich Holtze, Geschichte des Kammergerichts in Brandenburg-Preußen, 1. Teil: Bis zur Reformation des Kammergerichts vom 8. März 1540, Berlin 1890. (Beiträtge zur Brandenburg-Preußischen Rechtsgeschichte 1)
- Ders., Geschichte des Kammergerichts in Brandenburg-Preußen, 2. Teil: Das Kammergericht 1540-1688, Berlin 1891. (Beiträtge zur Brandenburg-Preußischen Rechtsgeschichte 2)
- Ders., Geschichte des Kammergerichts in Brandenburg-Preußen, 3. Teil: Das Kammergericht im 18. Jahrhundert, Berlin 1891. (Beiträtge zur Brandenburg-Preußischen Rechtsgeschichte 5)
- Ders., Geschichte des Kammergerichts in Brandenburg-Preußen, 4. Teil: Das Kammergericht im 19. Jahrhundert, Berlin 1904. (Beiträtge zur Brandenburg-Preußischen Rechtsgeschichte 6)

Zur Unterbringung des Kammergerichts:
- Friedrich Holtze, Lokalgeschichte des Königlichen Kammergerichts, Berlin 1896. (Beiträtge zur Brandenburg-Preußischen Rechtsgeschichte 4)

6. Verweise auf andere Bestände und Archive

Andere Bestände im GStA PK
- I. HA Geheimer Rat Rep. 9 Allgemeine Verwaltung D [u.a. Hausvogtei, Kriegs-, Hof- und Kriminalgericht]
- I. HA Geheimer Rat Rep. 9 Allgemeine Verwaltung J [u.a. Kammergericht]
- I. HA Rep. 77 Ministerium des Innern Abt. II Sekt 10b Tit. 11 Nr. 9, 10 (zu den Burschenschaftsprozessen)
- I. HA Rep. 84 a Justizministerium
- I. HA Rep. 89 Geheimes Zivilkabinett, jüngere Periode Nr. 14984-15074 (zu den Burschenschaftsprozessen)
- I. HA Rep. 97 A Oberappellationsgericht
- I. HA Rep. 97 A Obertribunal

Bestände in anderen Archiven
- Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 4a - Kurmärkisches Kammergericht
- Landesarchiv Berlin, B Rep. 38 - Kammergericht Berlin


Die Akten sind zu Zitieren: GStA PK, I. HA, Rep. 97 Kammergericht, Nr. ( )

Berlin, 05.11.2010
Dr. Leibetseder
(Archivrat)


Zitierweise: GStA PK, I. HA Rep. 97

Bestandssignatur
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 97
Umfang
Umfang: 103,5 lfm (5529 VE); 103,5 lfm (5529 VE)
Sprache der Unterlagen
deutsch

Kontext
Tektonik >> STAATSOBERHAUPT UND OBERSTE STAATSBEHÖRDEN, MINISTERIEN UND ANDERE ZENTRALBEHÖRDEN PREUSSENS AB 1808 >> Justiz >> Justizausübung und Revisionsgerichtsbarkeit

Bestandslaufzeit
Laufzeit: 1643 - 1944

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28.03.2023, 08:52 MESZ

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  • Bestand

Entstanden

  • Laufzeit: 1643 - 1944

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