Mainz: Die römische Provinzhauptstadt

15.09.2022 Domenic Städtler (Wissenschaftlicher Mitarbeiter)

In wenigen anderen deutschen Städten lässt sich das Erbe der Römer so gut nachverfolgen wie in der Stadt Mainz, dem römischen Mogontiacum. Schon die engen Gassen erinnern stark an die streng symmetrisch angelegte Straßenführung des einstigen Legionslagers und versetzen uns zurück in die Zeit des römischen Feldherrn Drusus.Straßennamen wie „Drususstraße“ oder „Römerwall“ begegnen in Mainz allerorts. Auch machte nahe dieser Stadt der römische Kaiser Severus Alexander (222 – 235 n. Chr.) seinen letzten Atemzug, als er von den wutentbrannten römischen Legionären niedergemetzelt wurde – ein geschichtsträchtiges Ereignis, das mit der Epoche der sogenannten Soldatenkaiser eine neue Ära einleitete. Sind Sie bereit für eine Zeitreise in die Zeit der alten Römer, um mit der Deutschen Digitalen Bibliothek die Geschichte des römischen Mainz näher kennenzulernen?

Der Drususstein

Im Jahr 13/12 v. Chr. ließ der ältere Drusus, Stiefsohn des ersten römischen Kaisers Augustus (27 v. Chr. – 14 n. Chr.), in strategisch günstiger Lage ein Legionslager errichten – die Keimzelle der späteren Provinzhauptstadt. Ein zweites römisches Legionslager entstand im Mainzer Stadtteil Weisenau. Als der Feldherr wenige Jahre später auf dem Rückweg von seinem Feldzug an der Elbe vom Pferd stürzte und an seinen Verletzungen starb, war die Trauer groß.

Ist man es diesem großartigen Gründer von Mainz nicht schuldig, ihm doch wenigstens auch hier ein Andenken zu errichten – wenn schon sein Leichnam selbst in Rom beigesetzt werden musste? 30 Meter hoch soll das Denkmal, ein sogenanntes Leergrab (Kenotaph) für den älteren Drusus einst gewesen sein. An diesem Ehrenmal, besser bekannt als Drususstein, hat im Mittelalter der Zahn der Zeit genagt. Vor allem aber wurden seine wertvolle Außenverkleidung und sein Zierrat dringend für den Bau von Häusern benötigt. Aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes wurde das stark in Mitleidenschaft gezogene Monument später auch Eichelstein genannt. Im späten 17. Jahrhundert diente der Drusus- oder Eichelstein (ein wenig Pragmatismus schadet nie) als ein zusätzlicher Wachtturm für die Mainzer Zitadelle: Auf dem Dach wurde eine Aussichtsplattform geschaffen.

Die Jupitersäule

Die zivile Siedlung (vicus) im Bereich des römischen Legionslagers erlangte schnell an Bedeutung. Dies bezeugt nicht zuletzt die in der Regierungszeit des römischen Kaisers Nero (54 – 68 n. Chr.) erbaute Jupitersäule. Diese war, so verrät die Sockelinschrift „für dessen Wohlergehen“ (pro salute) von „den Bewohnern der zivilen Siedlung“ (canabarii) gestiftet worden: Immerhin wollte man – nicht ganz uneigennützig – auch in der Provinzstadt Mogontiacum die unermessliche Treue zum Kaiserhaus demonstrieren. Die Sockelsteine zeigen neben Jupiter selbst einige weitere römische Gottheiten und Personifikationen sowie die von Jupiter gezeugten Dioskuren Castor und Pollux und den berühmten Heros Hercules. Oben auf der Säule stand eine riesige Jupiterstatue aus vergoldeter Bronze, die die grenzenlose Macht des obersten römischen Gottes demonstrierte. Natürlich sind von dieser Statue nur Bruchstücke erhalten. Unsere germanischen Vorfahren konnten angesichts des kostbaren Materials nicht widerstehen und haben diese pagane Götterstatue eingeschmolzen.

Die Reliefs der über neun Meter hohen Säule zeigen römische und keltische Gottheiten nebeneinander und beweisen somit, dass die römische Kultur auch in den germanischen Provinzstädten allmählich angekommen war.

Wie könnte sich die Verschmelzung von römischer und einheimischer Religion besser manifestieren als in diesem wunderbaren Ensemble von Reliefdarstellungen? Kein Wunder also, dass diese prächtige Säule auch anderen Jupiter- und Jupitergigantensäulen Pate gestanden hat, wie sie vor allem im 3. Jahrhundert n. Chr. in den Nordwestprovinzen beliebt waren. Das Original der Mainzer Jupitersäule kann heute im örtlichen Landesmuseum bestaunt werden. Eine detailgetreue Kopie erhob sich bis vor wenigen Jahren vor dem Landtag und wird derzeit renoviert.

Die Verschmelzung von römischer und einheimischer Kultur zeigt sich neben der Jupitersäule und ihren Reliefs auch am wohl berühmtesten Grabmonument aus Mainz: dem Grabstein des Schiffers Blussus. Das Grabrelief datiert in die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. und zeigt einen Mann und eine Frau in einheimischer Tracht – die beiden treten allerdings mit vollem Selbstbewusstsein ganz so auf wie wohlbetuchte römische Bürger. Man möchte fast meinen, man hätte hier nicht das Grab eines Provinzlers, sondern das eines wohlhabenden römischen Aristokraten vor sich.

Durch den Schiffsverkehr sind Blussus und seine Frau zu Wohlstand gelangt, womit sie – man betrachte nur den Geldbeutel auf dem Grabrelief, den Blussus in seiner Linken hält – auch nach ihrem Tod noch protzen. Auch die Darstellung eines Schiffes auf der Rückseite des Grabsteins kommt nicht von Ungefähr, spielte doch der Schiffsverkehr und Seehandel für den kontinuierlich wachsenden römischen Militärstützpunkt und dessen Zivilsiedlung eine wichtige Rolle. Sogar der Beruf des Blussus, der ihn offenbar reich gemacht hatte, ist auf dem Grabstein genannt: er war Nauta, zu Deutsch: Schiffer.

Die sogenannten Römersteine

Unter dem römischen Kaiser Vespasian (69 – 79 n. Chr.) entstand schließlich die 9 Meter lange römische Wasserleitung (Aquädukt), die das Legionslager mit frischem Quellwasser versorgte. Und frisches Wasser war den Römern besonders wichtig: Nur so konnte der hohe Lebensstandard im Legionslager sowie in der Zivilsiedlung sichergestellt werden. Mit einer maximalen Höhe von 25 Metern erreichte der Aquädukt eine Rekordhöhe: Es handelte sich um den höchsten Aquädukt nördlich der Alpen. Ehrfurchtsvoll erinnern auch heute noch die sogenannten Römersteine an das einstige Prestigebauwerk. Diese dienten damals als Pfeiler des Aquädukts und haben glücklicherweise die Zeit überdauert.

Römisches Theater

In der Antike war ein römisches Bühnentheater in einer jeden Provinzstadt, die etwas auf sich hielt, ein absolutes Muss – etwa so, wie heute in fast jedem noch so kleinen Dorf eine Kirche steht. Kein Wunder, dass auch Mogontiacum über ein römisches Theater verfügte. Der für seine Kaiserbiographien berühmte römische Autor Sueton erwähnt ein hölzernes Bühnentheater, das sich um das Jahr 40 n. Chr. in Mogontiacum befunden haben soll. Die heute noch sichtbaren Überreste datieren allerdings in das 2. Jahrhundert n. Chr.

Das Bühnentheater im römischen Mainz war aber nicht irgendein kleines Provinzialtheater – sondern das größte römische Theater nördlich der Alpen. Eine fünfstellige Zahl an Zuschauern fand darin Platz und bestaunte dort klassische Komödien, Tragödien und Lustspiele. Ob im Theater auch Paraden zum Andenken des älteren Drusus stattfanden, wie oft vermutet wird, ist durchaus denkbar. Kurzum: Es handelte sich also um ein solches Theater, wie es der Provinzhauptstadt der römischen Provinz Germania Superior würdig war. Allein schon die Ausmaße des Theaters beweisen, dass die Zivilsiedlung im 2. Jahrhundert n. Chr. in voller Blüte stand: Es war ein Jahrhundert des Friedens und des Wohlstands.

Dativius-Victor-Bogen

Der Wohlstand in der Provinzhauptstadt Mainz setzte sich auch noch im 3. Jahrhundert fort – und doch war bereits zu dieser Zeit die Bedrohung durch die Germanen allgegenwärtig. Der Germanenfeldzug des Severus Alexander endete, bevor er richtig begonnen hatte – mit der grausamen Ermordung des Kaisers und seiner allseits unbeliebten Mutter. In der Folgezeit wurden die rechtsrheinischen Gebiete immer stärker bedroht.

Wer es sich leisten konnte, siedelte sich in den noch sicheren Gebieten links des Rheins an. So auch ein gewisser Dativius Victor, Ratsherr (decurio) aus dem heutigen Nida-Heddernheim (civitas Taurensium). Wohl als Dank für seine Aufnahme im vermeintlich sicheren linksrheinischen Mainz stiftete er einen Ehrenbogen und eine Säulenhalle (porticus). Der 6,5 Meter hohe Ehrenbogen ist, so verrät die über dem Durchgangstor angebrachte Inschrift, dem Jupiter Optimus Maximus Conservator geweiht, einer ganz spezifischen Erscheinungsform des obersten römischen Gottes. Das Original des Ehrenbogens zieht heute die rombegeisterten Touristen in das Landesmuseum Mainz, eine Kopie des Monuments ziert seit geraumer Zeit den Ernst-Ludwig-Platz.

Spätantike und Völkerwanderungszeit

Das römische Mainz hatte unter Konstantin dem Großen (306 – 337 n. Chr.) eine zweite Blüte erlebt. Angesichts der offenkundigen Bedrohung durch die Germanen verwundert es allerdings nicht, dass im 4. Jahrhundert n. Chr. ein Umbau der Stadtmauer notwendig war. Wie auch anderorts üblich, wurde die spätantike Stadtmauern aus Resten (Spolien) von abgerissenen Gebäuden erbaut.

Da das Theater nun außerhalb der schützenden Stadtmauer lag, wurde der Theaterbetrieb im ausgehenden 4. Jahrhundert eingestellt. Auch Mogontiacum blieb von den Wirren der Völkerwanderungszeit nicht verschont und befand sich zeitweise im Einflussbereich der Burgunder, der Hunnen und der Alamannen. Im frühen 5. Jahrhundert wurde der Großteil der römischen Besatzung abgezogen, die römische Grenzverteidigung brach zeitweise zusammen. Im späten 6. Jahrhundert gehörte Mogontiacum schließlich zum Herrschaftsbereich des merowingischen Frankenkönigs Chlodwig I. (481 – 511 n. Chr.), die Römerzeit war dann allerdings längst schon vorbei und Mainz im Mittelalter angekommen.

Noch viele weitere Spuren der Römerzeit lassen in der Stadt Mainz die Vergangenheit wieder lebendig werden. Man denke etwa an das Römertor aus dem 4. Jahrhundert in Mainz-Oberstadt auf dem Kästrich, an das berühmte Heiligtum der Isis und der Magna Mater oder an das Gräberfeld aus dem 1. Jahrhundert im Mainzer Stadtteil Weisenau. Auch lohnt sich immer ein Besuch im Römisch-Germanischen Zentralmuseum, um das Erbe der Antike in Mainz zu erfahren. Oder aber, Sie durchforsten die Deutsche Digitale Bibliothek und lassen sich vom vielseitigen Bild- und Textmaterial zum römischen Mainz begeistern.

Literatur:

Allgemein:

K. Allihn, Zeitreise ins römische Mainz, in: Archäologie in Deutschland 4 (Okt.–Dez. 1998), hrsg. v. Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG), Mainz 1998, S. 66-67: https://www.jstor.org/stable/26312544

https://de.wikipedia.org/wiki/Mogontiacum

Aquädukt und Römersteine:

https://www.mainz-tourismus.com/entdecken-erleben/geschichte-entdecken/roemisches-mainz/roemersteine/

https://de.wikipedia.org/wiki/Römersteine

https://www.mainz.de/tourismus/sehenswertes/roemersteine.php#SP-grouplist-6-1:2

Dativius-Victor-Bogen:

https://www.mainz.de/tourismus/sehenswertes/dativius-victor-bogen.php#SP-grouplist-4-1:2

https://de.wikipedia.org/wiki/Dativius-Victor-Bogen

Drususstein:

Bickel, E., Der Eigelstein, die Drusus-Lei im keltischen Mainz, in: Rheinisches Museum für Philologie. Neue Folge 98, H. 1, 1955, S. 96: https://www.jstor.org/stable/41243782?seq=1#metadata_info_tab_contents

Teichmann, M., Das römische Theater von Mogontiacum (Mainz). Typologische Überlegungen mit Blick auf den regionalen Kontext, in: Thiasos. Rivista di archeologia e architettura antica 10, H. 1, 2021, S. 123 – 135: https://www.academia.edu/49232522

https://www.mainz-tourismus.com/entdecken-erleben/geschichte-entdecken/roemisches-mainz/drususstein/

http://www.festung-mainz.de/zitadelle/rundgang/drususstein.html

https://mainzund.de/roemischer-drususstein-soll-wieder-erlebbar-werden-grabmal-des-roemischen-feldherrn-drusus-wird-teilrekonstruiert-neuer-platz-bis-2020/

Jupitersäule:

https://www.mainz-tourismus.com/entdecken-erleben/geschichte-entdecken/roemisches-mainz/jupitersaeule/

https://www.mainz.de/tourismus/sehenswertes/jupitersaeule.php#SP-grouplist-5-1:5

https://de.wikipedia.org/wiki/Große_Mainzer_Jupitersäule

Römisches Theater:

Neeb, E., Das römische Theater zu Mainz, in: Korrespondenzblatt der Römisch-Germanischen Kommission des Archaeologischen Instituts 1, hrsg. v. Koepp, F.; Krüger, E.; Schumacher, K., Frankfurt am Main 1917, S. 54 – 58: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/korrblrgk1917

https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/7GMYTESZ2ECP3J7F45HTGBJW6GIALGOO

https://www.mainz.de/tourismus/sehenswertes/roemisches-buehnentheater.php#SP-grouplist-5-1:2

https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6misches_Theater_Mainz

https://www.theatrum.de/mainz.html

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