Gemälde
Landschaft mit Satyrfamilie
In einer wilden Naturlandschaft, fern der menschlichen Zivilisation, spielen sich rätselhafte Szenen ab. Am Fuß einer steilen Felswand lagern, geschützt vom Dickicht, drei nackte Figuren auf einem üppigen Wiesenstreifen: ein brauner Satyr mit Hörnern und Bocksfüßen, eine hellhäutige Frau, wohl eine Nymphe, und ein Kleinkind, ihr gemeinsamer Sohn. Offensichtlich sind alle drei soeben durch zwei Eindringlinge aus ihrer mittäglichen Ruhe aufgeschreckt worden. Das Kind scheint durch die beiden alarmiert worden zu sein, die Frau blickt zu ihnen hinüber und macht den Satyr aufmerksam, der eine Keule packt und zur handgreiflichen Verteidigung seiner Familie bereit ist. Bei den beiden Gestalten, denen ihre Aufmerksamkeit gilt, handelt es sich um einen gänzlich nackten Mann mit einer Rute in der Hand und eine Frau in rotem Kleid, die er zu halten versucht; sie hat offenbar vor, mit ausgestreckten Armen und weiten Laufschritten nach rechts hin in den Wald zu fliehen. In der Ferne öffnet sich eine weite, im Sonnenlicht liegende Landschaft mit Gewässer und felsigen Bergen, in denen schemenhaft eine Burg oder Burgruine erkennbar wird. Viel ist über die dargestellte Handlung gerätselt worden: Ist es eine antike mythologische Geschichte, unkonventionell erzählt und daher schwer erkennbar? Man dachte bei der Gruppe im Mittelgrund beispielsweise an Herkules und Dejanira oder bei der Familie vorne an das aus Italien bekannte Motiv eines Satyrn und einer Nymphe, doch müsste der Bocksbeinige dann der Nymphe auflauern – hier aber bilden sie eine harmonische kleine Familie. Es scheint näher zu liegen, dass sich hier frühe, mit dem Humanismus verbundene Vorstellungen von antiker Mythologie mit der im Norden Europas seit dem Mittelalter geläufigen Vorstellung der »Wilden Leute« verbinden, die bereits im 15. Jahrhundert oftmals als »Wilde Familie« vorkommen – aus dem ganz mit Haaren bedeckten, meist zierlichen »Wilden Mann« wäre dann hier der antikische Satyr geworden. Ohne Zweifel steht die kleine Gruppe im Vordergrund für ein »wildes« Leben in der Natur, ob sie aber zugleich auch auf animalisches Treiben und unkontrollierte Sinnlichkeit verweist, dürfte äußerst fraglich sein: Das Verhalten der drei wird als ganz menschlich gezeigt, als vorsichtig und sorgend, keineswegs als ungezügelt. Indes wird das Naturidyll zumindest von der bekleideten Gestalt und vielleicht auch von ihrem Verfolger weiter hinten gestört. Gehört Letzterer aber in den Wald, so wie die Familie? Um einen Satyr handelt es sich jedenfalls nicht, denn er hat weder Hörner noch Bocksfüße. So scheint es also ein menschliches Tun zu sein – vielleicht wirklich eine Begebenheit aus der klassischen Mythologie –, das die Naturfamilie aufschreckt. Das Eindringen in ihren Lebensbereich fern der Zivilisation scheint eine Provokation der friedlich ruhenden Geschöpfe zu sein. Die kleine Tafel gehört zu den frühesten Werken Albrecht Altdorfers und zu den ersten Beispielen einer nicht-christlichen Ikonografie in Deutschland und generell außerhalb Italiens. Das wunderbare, fantastisch gewundene Laubwerk verweist deutlich auf die Inspiration durch die frühen Werke Lucas Cranachs, etwa dessen Berliner Flucht nach Ägypten. Wenig später sollte Altdorfer die ersten reinen Landschaftsbilder malen, die ganz oder fast ganz ohne Figuren und Narration auskommen.| 200 Meisterwerke der europäischen Malerei – Gemäldegalerie Berlin, 2019 ____________________________________________________________________________________ SIGNATUR / INSCHRIFT: Bez. links auf dem Baum: 1507 / AA In a wild landscape, far from human civilisation, mysterious scenes are taking place. At the foot of a sheer cliff, sheltered by undergrowth, three naked figures can be seen on a lush strip of meadow: a brown satyr with horns and goat’s feet; a lightskinned woman, probably a nymph; and a small child, their son. Evidently, all three of them have been woken from their afternoon nap by two intruders. The child seems to be alarmed by them. The woman looks across at the intruders and tries to alert the satyr. He, in turn, seizes a club and prepares physically to defend his family. The two figures towards whom their attention is directed are a completely naked man with a stick in his hand and a woman in a red dress, whom he is trying to prevent fleeing into the forest on the right, taking large steps with outstretched arms. In the distance, a broad sunlit landscape with bodies of water and mountains opens up. One can faintly make out a castle or the ruin of a castle. Art historians have spent a long time puzzling over what is happening here. Is this an ancient myth told in an unconventional way and thus difficult to identify? Some have suggested that the group in the middle ground might be Hercules and Dejanira and the family in the foreground, the motif of a satyr and a nymph familiar from Italy. But then, the goat-footed satyr should really be stalking the nymph; here, however, they form a harmonious little family. A more probable explanation is that early ideas about antique mythology informed by Humanism have been combined here with the commonly held idea in northern Europe since the Middle Ages of “wild people”, who from the 15th century onwards often appear as a “wild family”. In line with this theory, the hairy, usually diminutive “wild man” has here become the antique satyr. We can certainly say that the small group in the foreground stands for “wild” life in nature, but whether it also refers to animal urges and uncontrolled sensuality is highly questionable: the three are shown behaving in an extremely human manner, cautious, anxious, but certainly not wild or uninhibited. At the same time, the idyll of nature is being disturbed by the robed figure in the background and perhaps also by her pursuer. But does the latter belong in the forest, like the family? It is certainly not a satyr, for it has neither horns nor goat’s feet. So it appears to be a human act – perhaps an occurrence from classical mythology – that has startled the nature family. The intrusion into their realm far from civilisation seems like a provocation of these peacefully resting creatures. The little panel is among Albrecht Altdorfer’s earliest works and one of the first examples of non-Christian iconography in Germany and generally outside Italy. The wonderful, fantastically twining foliage is clearly inspired by the early works of Lucas Cranach, his Berlin Flight into Egypt, for instance. A short time later, Altdorfer was to begin painting the first pure landscapes that dispense almost entirely with figures or a narrative.| 200 Masterpieces of European Painting – Gemäldegalerie Berlin, 2019
- Material/Technik
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Lindenholz
- Maße
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Bildmaß: 23,1 x 20,4 cm
Rahmenaußenmaß: 35,4 x 33,9 cm
- Standort
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Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin
- Inventarnummer
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638A
- Letzte Aktualisierung
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02.05.2023, 11:25 MESZ
Datenpartner
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Objekttyp
- Gemälde
Entstanden
- 1507