Grafik
Allegorie des Sehens und Hörens
"Vor einem Baum am linken Bildrand sitzt die reich gekleidete weibliche Personifikation des Sehens, Visus, in der Bildmitte Auditus, die Allegorie des Hörens. Visus ist mit Perlenketten geschmückt, sie trägt einen Kopfschmuck mit einem Schleier. In der linken Hand hält sie einen Spiegel, in dem sie sich betrachtet, ihre Rechte weist auf ihr gelockertes Mieder. Visus wird begleitet von einem Adler, Symbol der Scharfsichtigkeit, und einem Basilisken, einem Fabeltier, Sinnbild der Unkeuschheit und des Teufels. Der Spiegel ist auch ein Attribut der Superbia, des Hochmuts. Auf diesen Doppelsinn der Allegorie deuten auch das leicht geöffnete Mieder und der Basilisk hin. Auditus trägt ihr Kleid hochgeschlossen, mit niedergeschlagenen Augen spielt sie auf einer Laute. Ein Lorbeerkranz liegt auf ihrem Haar. Um sie herum sind zahlreiche Musikinstrumente und Bücher verstreut. Der Lorbeer war in der Antike der Baum des Musenführers Apollon und auch Attribut der Musen. Er verweist hier auf Euterpe, die Muse der Musik, wie auch die Instrumente und die Bücher. Hinter Auditus steht ein Hirsch und lauscht dem Lautenspiel. Der Hirsch galt in der Antike als musikliebend. Bei der Wahl der den Sinnen zugeordneten Tiere folgt Francken nicht mittelalterlichem Brauch, sondern der Folge der Fünf Sinne seines Lehrers Frans Floris, die 1561 von Cornelis Cort gestochenen wurde. Die durchaus weltlich aufgefaßten, an antikisch paganer Symbolik orientierten Allegorien des Sehens und Hörens gewinnen durch die biblischen Szenen des Hintergrundes einen weiteren, christlichen Sinngehalt. Über Visus ist die Heilung des Blinden vor Jericho (Markus 10,40) wiedergegeben. Auditus ist die Predigt Jesu auf dem See Genezareth (Lukas 5,3) mit der Berufung der ersten Jünger zugeordnet. Beide Szenen sind durch Angabe der Bibelstellen und schematische Stadtdarstellungen mit Bezeichnung der Orte ergänzt. Mit dem Gehör nimmt der Mensch das Wort Gottes auf. Es öffnet ihm die Augen für den rechten Glauben. Am rechten Bildrand ist eine weitere biblische Szene abgebildet, das Opfer Noahs nach der Sintflut (Genesis 8,20). Sie gehört zu einer weiteren Sinnesallegorie, wie der nach rechts blickende, von Auditus abgewandte Hund und das vom rechten Bildrand angeschnittene Gewand. Der Hund ist wegen seines Geruchssinnes in dem Fünf-Sinne-Zyklus von Frans Floris, aus dem Francken die attributierten Tiere für den Holzschnitt übernommen hat, Odoratus, dem Riechen, beigegeben. Genesis 8,20 berichtet, daß der Geruch von Noahs Brandopfer Gott versöhnte. Dem Holzschnitt war also nach rechts eine Darstellung der Odoratus angefügt, mutmaßlich sogar Allegorien aller Fünf Sinne mit Odoratus im Zentrum und zugehörigen biblischen Szenen. Das vorliegende Blatt ist der linke Teildruck einer Gesamtdarstellung der Fünf Sinne, gedruckt von zwei, möglicherweise auch drei Blöcken. Für diese Annahme spricht, daß auf dem Holzschnitt rechts der Randstreifen fehlt und von den wenigen bekannten Holzschnitten Franckens ein weiterer von mehreren Blöcken überliefert ist. Allegorien der Fünf Sinne in niederländischen Graphikfolgen aus dem 16. Jahrhundert sind in ihrer Bedeutung vielschichtig, sie lassen eine im christlichen Sinne moralisierende, sowohl positive als auch negative Auslegung zu. Die Bewertung der Fünf Sinne war seit dem Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit ambivalent. Sie wurden mit der christlichen Glaubensbotschaft verbunden und stets auch mit der Sünde. Einerseits galten sie als die Organe des Menschen, mit denen er den Glauben und die göttliche Ordnung des Weltalls erfuhr, andererseits fand das Laster über die Sinnesreize Eingang in den Menschen und verführte ihn zur Sünde, in Franckens Holzschnitt verbildlicht durch den Basilisken. Diese Ambivalenz drückt die der Odoratus zugeordnete Bibelstelle aus: Gott schließt den ewigen Bund mit Noah, obwohl er erkennt, daß "das Trachten des Menschen böse ist von Jugend an." Francken verbindet in den Sinnesdarstellungen verschiedene Bedeutungsebenen, sie sind sowohl christliche, als auch humanistisch geprägte Allegorien. Das Schneidmesser in der in der Signatur ist das Werkzeug des Holzschneiders."
- Location
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Georg-August-Universität Göttingen / Kunstgesch. Seminar und Kunstsammlung der Universität, Göttingen
- Inventory number
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D 5185
- Measurements
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Höhe: 306 mm
Breite: 413 mm
- Material/Technique
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Papier; Holzschnitt
- Inscription/Labeling
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Aufschrift: T. aehoor / AUDITUS (recto unten rechts (unter der Auditusdarstellung))
Aufschrift: T. gesicht / VISUS (recto unten links (unter der Visusdarstellung))
Aufschrift: 35 5[??] 5 (recto rechts oben (in den Wolken))
Marke: BIBL. R. A.CAD. G.A. (Göttinger Bibliotheksstempel (vollständig sichtbar bei kID: 172441), recto rechts unten, abgeschnitten)
Aufschrift: Genesis. 8. 20 (recto rechts mittig (links neben der Oferdarstellung))
Aufschrift: Genefaret (recto rechts mittig (rechts neben der Bootarstellung))
Aufschrift: Luc5.3 (recto mittig (über der Darstellung Christi auf dem Boot))
Aufschrift: Marc 1040 (recto links mittig (unter der Darstellung des Blinden von Jericho))
Aufschrift: iericho (recto links oben (unter der Stadtdarstellung))
- Classification
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Zeichnung/Grafik (Hessische Systematik)
Holzschnitt (Oberbegriffsdatei)
- Subject (what)
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Musikerin
Zupfinstrument
Laute
Harfe
Hund
Adler
Basilisk
Hirsche
Blindenheilung
Predigt
Jünger
Biblische Zeitgeschichte / Neues Testament
Allegorie
Spiegelbild
Christusdarstellung
Wunderheilung
Ripa: Udito
Ripa: Viso
die Heilung eines blinden Mannes (Bartimaeus) bzw. zweier blinder Männer bei Jericho (Matthäus 20:29-34; Markus 10:46-52; Lukas 18:35-43)
Christus predigt im Boot des Petrus zu den Menschen
Spiegelung (in einem Spiegel)
musizieren; Musiker mit Instrument
Laute; Sonderformen der Laute, z.B.: Theorbe
Harfe
Musikinstrumente; Gruppe von Musikinstrumenten
Hund
Greifvögel: Adler
Basilisk (Hahn/Schlange)
Huftiere: Hirsch
Noahs Opfer; verschiedene Tiere werden geopfert; möglich sind ein Lamm, eine Taube und ein Widder (manchmal mit dem Regenbogen von Noahs Bund kombiniert)
- Event
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Entstehung
- Event
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Herstellung
- (where)
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Belgien
- (when)
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ca. 1561 - ca. 1618 (Herstellung Cornelis Corts Serie "Die Fünf Sinne" bis Ambrosius Franckens Tod)
- Sponsorship
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Die Digitalisierung wurde gefördert durch die Deutsche Digitale Bibliothek aus Mitteln des Programms „Neustart Kultur“ der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
- Last update
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24.04.2025, 12:58 PM CEST
Data provider
Kunstsammlung der Universität Göttingen. If you have any questions about the object, please contact the data provider.
Object type
- Grafik
Associated
Time of origin
- ca. 1561 - ca. 1618 (Herstellung Cornelis Corts Serie "Die Fünf Sinne" bis Ambrosius Franckens Tod)