Bestand
Karikaturen zum Vormärz und zur Revolution 1848 - 1849 (Bestand)
Überlieferungsgeschichte
Archivische Sammlung: Entstehung durch Kauf (vor
allem aus dem Ankauf zweier privater Sammlungen, 1994 von Heinz
Böhme aus Freiburg und 1997 von Heinz Gauly aus Bad Neustadt) und
Geschenk; wird fortgesetzt.
Inhalt und
Bewertung
Etwa ein Drittel der geschätzten
Gesamtproduktion an Karikaturen zur Revolution 1848/49 auf
Bundesebene und in Baden
I. Karikaturen als Quelle:
"Karikaturen sind ein bissiges wiewohl künstlerisches Schlagbild
zur Tagespolitik." Losgelöst von den zeitgenössischen
Zusammenhängen scheinen historische Karikaturen keinerlei
Aussagewert mehr zu besitzen bzw. lässt sich dieser nur schwer
erschließen: Schwarz-weiß-Zeichnungen, deren künstlerischer Stil
sich von heutigen Karikaturen erheblich unterscheidet,
humoristische Anspielungen, die heute kaum noch verständlich
erscheinen, und eine Unzahl von ehemals prominenten und heute
unbekannten Gesichtern. Dennoch finden sie vielfach Verwendung in
Ausstellungen, was auf ihre Bedeutung über den Tag hinaus verweist.
1) Zunächst sind die vorliegenden Zeichnungen - ganz unabhängig vom
tagespolitischen Gehalt - ein eindrucksvolles Zeugnis für die
allgemeine politische Stimmung im Deutschland der Revolutionszeit.
Die vom jahrelangen Druck der Zensur befreite Presse produzierte
während dieses kurzen Aufflackerns des freiheitlichen Geistes eine
wahre Flut von politischen Karikaturen. Sie sind ein einzigartiger
Spiegel für die bisweilen schnell umschlagenden politischen
Stimmungen und die erhitzten Diskussionen über kontroverse Fragen.
Sie erlauben konkrete Antworten auf die Frage nach der Struktur der
öffentlichen Meinung im letzten Jahrhundert: Wer zeichnete die
Karikaturen? Wer verlegte und druckte sie? In welcher Auflage waren
sie wo verbreitet? Wie war im Endeffekt ihre politische
Wirkmächtigkeit? Diese Fragen lassen sich selbstverständlich nicht
aus den Bildzeugnissen allein heraus beantworten. Vielmehr müssen
die Karikaturen zusammen mit den bereits hier im
Generallandesarchiv Karlsruhe vorhandenen Quellen interpretiert
werden. So stehen diese Zeugnisse außerparlamentarischer
Meinungsäußerung nicht als isoliert inmitten der Bestände dieses
Hauses, sondern sind in enger Wechselwirkung mit der
Gesamtüberlieferung zu sehen. Dies ist auch der Grund, warum
Karikaturen hier im Archiv als Quelle eine wesentliche Rolle
spielen. 2) Es werden anhand der vorliegenden Zeichnungen die
zeitgenössischen Kontroversen bei spezifischen politischen
Problemen während der Revolutionzeit ablesbar: Was und wer wurde
als aktuell wichtig angesehen und dementsprechend karikiert? Warum
erhitzte der Frieden von Malmö die Gemüter? Wer stimmte für die
"kleindeutsche", wer für die "großdeutsche" Lösung? Wie gestaltete
sich der großdeutsche Alltag im Parlament und wie die
administrativen Abläufe? Auch hier wird die enge Verzahnung von
Akten und Karikaturen offensichtlich. Die Akten und
Verhandlungsprotokolle liefern die Hintergrundinformationen, ohne
die manche Karikatur unverständlich bliebe; die Karikaturen
wiederum füllen das bisweilen trockene Aktenmaterial mit Leben und
beantworten die Frage nach den Reaktionen in der Öffentlichkeit. 3)
Ihren satirisch-humoristischen Höhepunkt erreichen die Karikaturen
dann, wenn sie sich die Eigenarten, das Aussehen oder spezifische
Redewendungen von Abgeordneten als Ziel suchen. Die Darstellung des
bisweilen bunt gekleideten Rösler von Oels als
"Reichskanarienvogel", des Schriftführers der Nationalversammlung
als "Reichstintenfass" oder des Mannheimers Alexander von Soiron
als dummer Schuljunge erinnert stark an heutige Karikaturen, bei
denen oft nur ein markantes Detail oder eine auffällige
Körperpartie ausreicht, um einen Politiker unzweifelhaft zu
identifizieren. Für den Betrachter wird so mit der Zeit die auf den
ersten Blick anonyme Masse der Paulskirchenabgeordneten immer
transparenter; "Originale" und markante Charaktere können "leicht"
wieder erkannt werden. 4) Die Auswahl von Bildern, die thematisch
den badischen Raum ebenso erfasst wie die Bundesebene in der
Frankfurter Paulskirche, zeigt wie eng regionale und nationale
Ereignisse miteinander verknüpft waren. Obgleich zum Beispiel
Heckers Wirken sich auf den Südwesten beschränkte, besaßen seine
militärischen Versuche dennoch nationale Auswirkungen; gleiches
gilt für den überdurchschnittlich hohen Anteil badischer Politiker
in der Frankfurter Nationalversammlung, unter ihnen so prominente
wie Karl Mathy und Parlamentsvizepräsident Alexander von Soiron.
Und so wird durch die Karikaturen erkennbar, dass schon die
Zeitgenossen die Bedeutung der deutschen Revolution für Baden und
gleichermaßen die Bedeutung Badens oder zumindest einzelner Badener
für Deutschland hoch einschätzten. Die Sammlung J-S Karikaturen
stellt ein einzigartiges Dokument der politischen Kultur in
Deutschland und im deutschen Südwesten während der Revolution von
1848 und 1849 dar. Für das Generallandesarchiv Karlsruhe ist diese
Sammlung ein weiterer Baustein, die Quellen zu den überregional
wirksamen Ereignissen der Revolution 1848/49 für Forschung und
interessierte Öffentlichkeit zugänglich zu machen (vgl. auch die
Auswertung von Quellen des Generallandesarchivs zu badischen
Revolutionären: Raab 1998).
II. Bestandsgeschichte: Die
hier vorliegende Sammlung von Karikaturen umfasst derzeit insgesamt
265 Zeichnungen zum Vormärz und vor allem zur Revolution 1848/49,
ein gutes Drittel der geschätzten Gesamtproduktion an politischer
Karikatur der Revolutionsjahre. Der Sammlungsbestand setzt sich im
Wesentlichen aus drei Teilen zusammen: Der überwiegende Teil wurde
in den Jahren 1994 und 1997 angekauft, als zwei private Sammlungen
aus dem badischen Raum dem Generallandesarchiv Karlsruhe angeboten
wurden. Diese Ankäufe ergänzten den vorhandenen, allerdings kleinen
Bestand von Karikaturen, die bislang auf verschiedene
Sammlungsbestände verteilt waren (J-G und J-H). In dem nun
vorgelegten Bestandsverzeichnis sind alle Karikaturen des
Generallandesarchivs zum Vormärz und zur Revolution 1848/49
zusammengefasst.
III. Bearbeiterbericht: Die
Sammlung ist eine der größten im südwestdeutschen Raum und musste
daher auch gründlich bearbeitet und nutzerfreundlich aufbereitet
werden. Bei der Beabeitung stand die Möglichkeit eines
breitgefächerten und gleichzeitig schnellen Zugriffs auf den
Bestand im Vordergrund. Darum wurde eine Klassifikation erarbeitet,
in der die Karikaturen in sieben verschiedene Sachgruppen
eingeteilt wurden: z. Bsp. Karikaturen zu den Debatten in der
Frankfurter Nationalversammlung, personenbezogene Kariakturen und
Zeichnungen zu wichtigen außerparlamentarischen Ereignissen während
der Revolutionszeit. Innerhalb der sieben Obergruppen wurde das
Ordnungsraster weiter verfeinert, so finden sich z. Bsp.
Karikaturen zur Verfassungsfrage oder zu den Septemberunruhen 1848
geschlossen beieinander. Zu jeder Karikatur wird eine komprimierte
Beschreibung und Erläuterung des Bildinhalts geboten - wann immer
möglich mit Identifizierung der abgebildeten Personen - weiter
Angaben über Verlag, Verfasser, Herstellungsdatum, - ort und -art
und in Einzelfällen Verweise auf weiterführende Literatur. Die
Karikaturen befinden sich unter konservatorischen Gesichtspunkten
zumeist in befriedigendem Erhaltungszustand. Stockflecken und
poröse Knickstellen bei Überformaten sind jedoch nicht selten. Der
Bestand wurde 1996 und 1998 von den Archivreferendarinnen und
Archivreferendaren Fritz, Kuttner, Neesen, Strauß, Stockert,
Cymorek, Lusiardi, Maier und Wettmann im Rahmen ihrer praktischen
Ausbildung unter der Anleitung von Dr. Marie Salaba sowie Dr.
Clemens Rehm erschlossen. Für die Erschließung (1996 und 1998)
wurde das Datenbankprogramm Faust verwendet. Es wurde ein Personen-
und Ortsregister angelegt. Karlsruhe, im Oktober 1998 Dr. Clemens
Rehm
IV. Konversion und
Digitalisierung: Das Findmittel wurde vor dem Jahr 2017
konvertiert. Die Endredaktion führte Sara Diedrich im Oktober 2017
durch. Dabei wurden die unbelegten Gliederungspunkte der
Klassifikation gelöscht; ebenso nicht sinnvolle oder
nachvollziehbare Verweise. Außerdem wurden Deskriptoren auf der
Grundlage des Registers von 1998 vergeben. Sieben weitere
Karikaturen wurden der Sammlung hinzugefügt. Der Bestand ist
vollständig digitalisiert.
V. Literaturhinweise: Ausst.
Kat. Baden-Baden 1998 1848/49. Revolution der Deutschen Demokraten
in Baden. Katalog zur Landesausstellung im Karlsruher Schloss, hg.
vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe, Baden-Baden 1998. Ausst. Kat.
Berlin 1972 Kunst der bürgerlichen Revolution von 1830 bis 1848/49.
[Ausstellungskatalog Neue Gesellschaft für Bildende Kunst], hg. von
Arbeitsgruppe Kunst der Bürgerlichen Revolution, Berlin 1972.
Ausst. Kat. Berlin 1998 1848. Aufbruch zur Freiheit. Katalog zur
Ausstellung des Deutschen Historischen Museums und der
Schirn-Kunsthalle Frankfurt, hg. von Lothar Gall, Berlin 1998.
Ausst. Kat. Kelkheim 1989 Werkstatt Demokratie. 140 Jahre
Paulskirchenverfassung. [Ausstellungskatalog Historisches Museum
Frankfurt am Main], hg. von Patricia Stahl, Kelkheim 1989 (Kleine
Schriften des Historischen Museums Frankfurt, Bd. 43). Blum 1897
Hans Blum: Die deutsche Revolution 1848-1849. Eine Jubiläumsausgabe
für das deutsche Volk, Florenz/Leipzig 1897. Gassen/Hofmann 1988
Richard W. Gassen / Karl-Ludwig Hofmann: Liberalnichtofsky und der
deutsche Michel. Die Karikatur in der Revolution von 1848/49.
Katalog zur Karikaturensammlung des Stadtmuseums Ludwigshafen,
Heidelberg 1988. Hartwig/Riha 1974 Helmut Hartwig / Karl Riha:
Politische Ästhetik und Öffentlichkeit. 1848 im Spaltungsprozeß des
historischen Bewußtseins, Gießen 1974. Klötzer 1985 Wolfgang
Klötzer: Die Paulskirche. Symbol demokratischer Freiheit und
nationaler Einheit. Eine Präsentation des Stadtarchivs in der
Paulskirche, Frankfurt a. M. 1985 (Kleine Schriften des Frankfurter
Stadtarchivs, Bd. 1). Koch 1989 Rainer Koch (Hg.): Die Frankfurter
Nationalversammlung 1848/49. Ein Handlexikon der Abgeordneten der
deutschen verfassungsgebenden Reichs-Versammlung, Kelkheim 1989.
Lahnstein 1982 Peter Lahnstein: Die unvollendete Revolution 1848 -
1849. Badner und Württemberger in der Paulskirche, Stuttgart 1982.
Otto 1982 Ulrich Otto: Die historisch-politischen Lieder und
Karikaturen des Vormärz und der Revolution von 1848/49, Köln 1982
(Pahl-Rugenstein-Hochschulschriften: Gesellschafts- und
Naturwissenschaften. Serie Kulturgeschichte, Bd. 100). Reiter 1994
Annette Reiter: Die Sammlung A. W. Heil. Politische Druckgrafik des
Vormärz und der Revolution 1848/49, Stuttgart 1993. Raab 1998
Heinrich Raab: Revolutionäre in Baden 1848/49. Biographisches
Inventar für die Quellen im Generallandesarchiv Karlsruhe und im
Staatsarchiv Freiburg, Stuttgart 1998 (Veröffentlichungen der
Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg, Bd. 48). Steno.
Bericht 1848/49 Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der
deutschen constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main,
9 Bde., hg. von Franz Wigard, Frankfurt a. M. 1848/49. Valentin
1930/31 Veit Valentin: Geschichte der deutschen Revolution von 1848
- 1849, 2 Bde., Berlin 1930/31. Vollmer 1983 Franz Xaver Vollmer:
Der Traum von der Freiheit. Vormärz und 48er Revolution in
Süddeutschland in zeitgenössischen Bildern, Stuttgart 1983. Wolf
1982 Sylvia Wolf: Politische Karikaturen in Deutschland 1848/49.
Essay, Bibliographie, Katalog, München 1982. Zorn und Eifer 1998
Mit Zorn und Eifer. Karikaturen aus der Revolution 1848/49. Der
Bestand des Reiss-Museums Mannheim, bearb. von Grit Arnscheidt, hg.
von Hansjörg Probst / Karin von Welck, München/Berlin
1998.
- Reference number of holding
-
Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe, J-S Karikaturen
- Extent
-
265 Nummern
- Context
-
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe (Archivtektonik) >> Sonderbestände >> Abbildungen (Bilder, Fotos, Postkarten) >> Bildersammlungen >> Revolution 1848-1849 in Baden und in der Pfalz
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03.04.2025, 11:03 AM CEST
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