Text | Theaterzettel

Der Gallego

Der Gallego

Digitalisierung: DE-2208 - Thüringisches Hauptstaatsarchiv

Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International

Standort
Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar#Kunst und Wissenschaft - Hofwesen
Umfang
15
Anmerkungen
NZfM 1 (Nr. 61, 30.10.1834), S. 242–244, sowie (Nr. 62, 3.11.1834), S. 246–248. „Es kann nicht in Abrede gestellt werden, daß es in Weimar recht tüchtig musikalisch gebildete Leute gibt, daß deren ebenfalls nicht wenige sind, die der Musik mit glühendem Eifer ergeben, daß sich einzelne Vereine gebildet haben, deren Wirken schon recht schöne Früchte getragen, wie „die Liedertafel" und „der Singverein“; demungeachtet aber kann von einem eigentlichen Musikleben oder einer allgemeinen Musikbildung daselbst nicht die Rede sein. Und gerade in Weimar hat sich eine bedeutende Anzahl wirklich vorzüglicher Komponisten hervorgerhan, die fast sämmtlich in unserer Capelle anzutreffen; und zwar Hummel als Capellmeister, Häfer als Chordirector, Götze, Eberwein und Lobe, die beiden ersteren als Musikdirectoren, letzterer als Kammermusikus, alle drei ausgezeichnet durch Operncompositionen-, mit welchen auch neuerdings Genast (Regisseur der Oper) und Ullrich (Kammermusikus) hervorgetreten sind. Auch der berühmte Organist Professor Töpfer lebt in Weimar. Wir glauben, daß diese (Komponisten um so mehr Aufmerksamkeit und Aufmunterung verdienen, da bekanntlich unsere deutsche Opernmusik nur wenig Zuwachs erhalten hat und in neuerer Zeit gar durch den Wust französischer und italiänischer Modemusik zurückgedrängt zu werden scheint. Auch läßt sich ja Vieles, was obige Musiker geleistet, Bellini'schen oder Donizetti'schen Sachen an die Seite stellen. [...] Höchst erfreulich muß es sein, wenn man dessenungeachtet einzelne Auserlesene kräftig sich entwickeln und hervortreten sieht; wie es kürzlich mit Lobe geschehen und wie wir es jetzt von dem als tüchtigen Componisten schon bekannten Musikdirektor Götze zu melden haben, der mit einer neuen Oper „der Gallego“ hervorgetreten ist, die zum erstenmal am 20. September hier zur Aufführung kam und seitdem wiederholt wurde. Wir kennen schon eine Oper von Götze, die, wenn wir nicht irren, 1819 zum erstenmal hier aufgeführt und durch Stromeyer und die Jagemann verherrlicht wurde; sie ist eine heroische: „Alexander in Persien,“ wozu ihm der geistreiche ächtclassisch gebildete Oberconsistorialdirector Peucer einen Text geliefert hatte. Sie zeichnet sich durch kühnen Aufschwung und bewunderungswerthe Gediegenheit aus. Bald darauf trat er mit einer zweiten „das Orakel“ auf, die wir nicht gehört haben. Nach langem Ruhen bringt er uns endlich den Gallego, der sich sowohl bei der ersten, als auch vorzüglich bei der zweiten Vorstellung eines großen und gefühlten Beifalls zu erfreuen hatte. Die Gallego's oder Gallizier, die sich auf Erwerb in Lissabon aufhalten, bilden eine eigene Zunft daselbst, die ihre eigenen Gesetze und ihre eigenen Richter hat. Pablo, einer derselben, hat mit der Nichte des Oberrichters ein Liebesbündniß geschlossen und beide erhalten die Zustimmung Pedrazo's, des Oberrichters, zu ihrer Verbindung; aber Gormas, gleichfalls ein Gallego und verschmähter Liebhaber Tereza'e, wird zur Rache aufgeregt, zu der sich die Gelegenheit auch bald findet. Pablo hat Geld für den Kaufmann Vannos in den Hafen zu tragen, wird, weil ein Aufstand daselbst ausgebrochen, von Vannos getrennt, bringt ihm aber das Geld ehrlich wieder zurück. Durch ein Mißverständniß glaubt der Kaufmann, es fehle ihm eine geringe Summe an dem Geld; das bringt Gorinas in Erfahrung und beschuldigt Pablo, mitten in das Hochzeitsfest eintretend, des Diebstahls; den eigenen Schwiegersohn verflucht der Oberrichter und verbannt ihn. Trotz dem, daß Pablo von Feinden Vannos aufgesucht und zur Rache gegen den Kaufmann aufgereizt wird, bleibt er seiner guten Gesinnung treu und rettet sogar Vannos, wie den Oberlichter, die beide fälschlich des Anteils am Aufstand angeklagt worden waren, vom Ted. Gormas, der mit in die falsche Anlage verwickelt worden, erhält seine verdiente Strafe, und die Liebenden werden vereinigt. Nach so viel Episoden wird die einfache Handlung unterbrochen, daß man fast den Faden verliert und zweifelhaft wird wer eigentlich die Hauptpersonen seien. Alle Scenen sind ohne wirklich feste Verbindung an einander gereiht, was dem Text zum Nachtheil gereicht; diesen Hauptfehler abgerechnet, ist er aber in seinen Einzelheiten gut durchgeführt und ächt musikalisch zu nennen. Letztere Eigenschaften sind allerdings ein Vortheil, den viele unserer Operndichrungen entbehren, der aber keineswegs einen guten Text bedingt. Einfachheit ist die erste Bedingniß der Handlung einer Oper, alles was davon abgeht, führt auf Abwege, Ein gut gebildeter Baum kann nur einen Stamm haben, von dem aus sich Zweige und Aeste mit ihrem Schmuck, dm Blattern, Blüthen und Früchten erheben; soll er von mehren Stämmen aus aufwachsen, so werden die verschiedenen Stämme verkrüppeln, werden zu dünnen Gerten und nimmermehr ein kräftiger dem Himmel entgegenstrebender Baum, sondern ein demüthiger Busch. Die Musik verleiht in ihrer mannigfachen Ausführung und durch ihre verschiedenen Effecte einer einfachen, aber wohlangelegten, Handlung schon so viel Abwechslung, daß dadurch das Episodische von selbst entsteht und man nicht nöthig hat, neue Stützen zu Nebenhandlungen anzulegen, wodurch die einem jeden und am meisten einem musikalisch dramatischen Kunstwerk nöthige Einheit verloren geht. Jedes musikalische Kunstwerk beruht auf Gefühl, die Musik selbst ist die umfassendste und vollendetste Aeußerung des Gefühls; da aber das Gefühl weniger mit dem Verstand, als vielmehr wiederum durch sich selbst gefaßt werden und nur der Verstand sich in scharf abgezeichneten Grenzen bewegen kann, das Reich des Gefühls hingegen unbegrenzt und unbestimmt ist, und letzteres nur durch Fühlen mitgetheilt und empfunden werden kann, so ist es auch bei Produktionen, die auf Gefühl beruhen, durchaus nöthig für die menschliche Fassungsgabe, daß nicht unbestimmte Gefühle in Masse in uns erregt werden, wodurch das Fassungsvermögen erschwert, wohl gar aufgehoben wird. Je einfacher die Kraft, die wirken soll, je mehr sie auf sich selbst reducirt ist, je weniger sie also von verschiedenen Puncten aus nach verschiedenen Theilen hinstrebt und dadurch in sich selbst geschwächt wird, um so wirksamer wird sie sein. So im Allgemeinen bei der Musik selbst, so und um so mehr bei der Oper, wo es nicht allein auf ein bloßes Fühlen, sondern auf ein richtiges Fühlen und Verstehen ankommt.“ (NZfM 1 (Nr. 61, 30.10.1834), S. 242–244)

Urheber
Beteiligte Personen und Organisationen
Erschienen
1834-10-04

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URN
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Letzte Aktualisierung
21.04.2023, 10:52 MESZ

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Objekttyp

  • Theaterzettel ; Text

Beteiligte

Entstanden

  • 1834-10-04

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