Bestand
A Rep. 003-04-11 Städtische Heil- und Pflegeanstalt Wuhlgarten (Bestand)
Vorwort: A Rep. 003-04-11 Heil- und Pflegeanstalt Wuhlgarten
1. Geschichte der Krankenanstalt
Nach einer Cabinetsordre vom 8. April 1804 durfte die Aufnahme und Behandlung von Kranken in Irrenanstalten nur erfolgen, wenn sie gerichtlich für geisteskrank erklärt worden waren, d.h. das Entmündigungsverfahren erfolgt war. Diese generelle Regelung war für Epileptiker oftmals nicht anwendbar, da nach damaligen Statistiken mindestens 13,5% der Epileptiker als geistig gesund und somit nicht anzeigepflichtig eingeschätzt wurden. Aus diesem Grunde plante das Kuratorium für Irrenpflege der Stadt Berlin eine gesonderte Anstalt für Epileptiker, in der die Patienten nicht wegen gestörter Geistestätigkeit, sondern auf Grund der allgemeinen Hilfsbedürftigkeit und Behandlungsnotwendigkeit aufgenommen werden sollten.
Am 18. Januar 1888 erwarb die Stadt Berlin vom Rittergutbesitzer Werner von Siemens eine dreigegliederte Fläche von 127,2938 ha in Biesdorf. 1890 wurde der Bau der Epileptikeranstalt nach den Plänen des Stadtbaurates Hermann Blankenstein auf dem Areal von 90 ha begonnen. Durch geschickte Nutzung der günstigen natürlichen Bedingungen bleiben Wiesen und Ackerfläche erhalten. Es entstanden "die Anstalt", je ein festes Haus für die Frauen und Männer, und "die Kolonie", einzelne von Gärten umgebende Landhäuser (getrennt für beide Geschlechter). Hinzu kamen Verwaltung- und Wirtschaftsgebäude, Anstaltskirche, ein Haus für jugendliche Epileptiker und der Gutshof. An der Nord-West-Grenze des Geländes befand sich der anstaltseigene Friedhof.
Am 15. November 1893 wurde die "Anstalt für Epileptische Wuhlgarten bei Biesdorf" mit einer Kapazität von 1000 Betten eröffnet. 677 Patienten, die an Krampfanfällen litten, überwies man aus den Irrenanstalten Dalldorf und Herzberge sowie aus Privatpflegeanstalten hierher. Bis 1905 wurden die baulichen Anlagen erweitert, da der Anteil der geisteskranken Epileptiker jetzt bei 1326 Patienten lag. Die Behandlung der Kranken erfolgte ohne mechanische Zwänge mit dem Schwerpunkt Arbeitstherapie in Werkstätten, im gärtnerischen und landwirtschaftlichen Bereich sowie in der Familienpflege. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges sanken die Patientenzahlen auf 976, viele starben an den Folgen der Unterernährung. Für männliche tuberkulöse Geisteskranke wurde 1926 eine Infektionsbaracke eingerichtet. Seit 1927 nahmen die Zahlen der Paralytiker- und Alkoholikerkranken zu. Für schwererziehbare Mädchen wurde auf Veranlassung des Landesjugendamtes das Landhaus "Wiesenblick" eingerichtet, später wurde es zum Schwesternwohnhaus.
Änderung der Bezeichnung "Städtische Anstalt für Epileptische, Wuhlgarten in Städtische Heil- und Pflegeanstalt Wuhlgarten (Dienstblatt Tiel VII 27.03. 1928
1928 wurde die Anstalt in "Städtische Heil- und Pflegeanstalt (für Epileptische) Wuhlgarten" umbenannt und die Anstalt in eine allgemein psychiatrische Einrichtung umgewandelt. In dieser Heil- und Pflegeanstalt (für Epileptische) Wuhlgarten befanden sich nun 1253 Patienten und 1560 Betten.
Dienstblatt VII 1930 Nr. 12 vom 06.01.1930 Aufnahme epileptischer Kinder bis 16 Jahre nicht mehr im Kinderhaus der HPA Wuhlgarten sondern in Landesanstalt für Bildungsfähige Potsdam und Landesanstalt Lübben (für dauernd als bildungsfunfähig erkannte).
1933 befanden sich in der Anstalt 1450 Patienten, darunter 1000 Epileptiker, 200 Geisteskranke und 250 Hospitaliten. Es begannen die Abtransporte im Rahmen der NS-Aktionen "zur Gesunderhaltung des Volkskörpers", Zwangssterilisationen und später auch die Tötung "lebensunwerten Lebens" (Euthanasie). Die "Erbbiologische Bestandsaufnahme" in der Anstalt wurde 1936 Pflicht. Im Jahr 1940 meldete die Heil- und Pflegeanstalt Wuhlgarten ca. 1394 Patienten bei einer Bettenzahl von 1720 an die Euthanasiezentrale T 4 in der Berliner Tiergartenstraße 4.
1941 hatte die Heil- und Pflegeanstalt als planmäßige Bettenzahl 650 Betten zur Verfügung, davon 250 für Männer und 400 für Frauen. Die Leitung hatten als Ärztlicher Direktor Dr. Wagenknecht und Verwaltungsdirektor Möwius inne. In der Hospitalabteilung der städtischen Heil- und Pflegeanstalt Wuhlgarten standen 1941 als Planbettenzahl 1200 Betten zur Verfügung.
Nach 1941 wurde die Anstalt unter den ausgeschiedenen Anstalten mit 1616 Betten nun als "reines Hospital mit Arbeitspfleglingen" geführt. Bei den Luftangriffen 1944 verursachten Bomben starke Schäden an Gebäuden und im Gelände und forderten dreißig Tote.
Im April 1945 erreichten die Truppen der Roten Armee das mit Kranken, Flüchtlingen und Verwundeten belegte Krankenhaus. Es kam zur Beschlagnahme von Krankenhausgut, zu Vergewaltigungen von Patientinnen und Pflegerinnen, Erschießungen und Verhaftungen. Die Versorgung brach völlig zusammen, auf dem Gelände kampierten Flüchtlinge, Verwundete und Fremdarbeiter, von denen viele an Hunger und Entkräftung starben. Die Rote Armee besetzte im Norden gut ein Drittel des Geländes. Langsam gelang es mit zwei Ärzten und 53 Pflegekräften, erste Schritte zur Normalisierung des Krankenhausbetriebes einzuleiten (Desinfektionen, Lebensmittelbeschaffung, Bannung der Seuchengefahr, Bestattung der Toten, Trümmerbeseitigung und Nutzung der Hilfskrankenhäuser).
Nach 1945 wurde der Klinikbetrieb sukzessive wieder hergestellt, sechs geschlossene und zwei offene Abteilungen mit Geisteskranken und Hospitaliten belegt. Ab 1950 konnten auch forensisch eingewiesene Geisteskranke untergebracht werden und es wurde eine Neurologische Abteilung eingerichtet. Aufgrund der partiellen Besetzung des Geländes durch die Rote Armee war das Krankenhaus ständig überbelegt, so dass 1960 eine zeitweilige Aufnahmesperre verhängt wurde.
In der Zeit nach dem Mauerbau 1961 erfolgte eine Neuprofilierung des "Städtischen Krankenhauses für Psychiatrie und Neurologie Wuhlgarten". Die Psychiatrische Abteilung wurde unterteilt (in eine für Akut und Subakut Erkrankte für chronisch Kranke und für Pflegepatienten), seit 1963 wurde die Betreuung von Alkoholkranken intensiviert. Im Herbst 1966 eröffnete man die Abteilung für Klinische Psychotherapie. Die Einführung von Psychopharmaka ermöglichte häufigere Entlassungen bzw. die ambulante Betreuung der Patienten.
Zum 100. Todestag von Wilhelm Griesinger am 26. Oktober 1968 wurde die Einrichtung am 21. Oktober 1968 in "Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus Berlin" (WGK) umbenannt.
Durch den Abzug der Roten Armee war die Klinik seit 1970 wieder im Besitz weiterer Häuser, die aber in die Verfügungsgewalt des Ministerrates der DDR übergingen. Sie wurden später vom Franz-Mehring-Institut der Karl-Marx-Universität Leipzig als "Parteischule für westdeutsche DKP-Funktionäre", die bis 1989 in Betrieb war, bezogen und samt Freifläche durch einen bewachten Zaun vom Krankenhausareal abgetrennt.
Das Krankenhaus feierte 1978 sein 85-jähriges Bestehen und es folgten zahlreiche Umbaumaßnahmen und Modernisierungen wodurch man die baulichen Voraussetzungen für die Aufhebung der Geschlechtertrennung, die Durchsetzung des Sektorprinzips in der Psychiatrie und die Durchsetzung der psychiatrischen Komplextherapie schuf und die Rehabilitationsarbeit begünstigte.
Die Rückgabe der Landhäuser der Parteischule an das Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus erfolgte 1990.
Am 1. Januar 1997 erfolgte die Fusion mit dem Krankenhaus Kaulsdorf zum "Krankenhaus Hellersdorf", das damit zur Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH gehört.
2. Bestandsgeschichte
Der Bestand enthält 115 Krankenakten von Einzelpersonen und 43 Sammelakten (ca. 10-15 Personen). Er umfasst 1,95 lfm.
Die Krankenakten des verzeichneten Teilbestands umfassen den Entlassungszeitraum 1940 - 1945 (bis teilw. einschl. Juli) und haben eine Laufzeit von 1885 bis 1948. Der Schwerpunkt liegt hier ca. 1923 - 1945.
Die Klassifikation umfasst die Heil- und Pflegeanstalt (Haus 1) sowie die damals angegliederte Hospitalabteilung (Haus 4). Eine Zuordnung wurde nach Aufenthaltsdauer bzw. letztem Aufenthaltsort des Patienten vorgenommen, ist jedoch auch aufgrund der Kriegswirren als uneindeutig anzusehen.
Die Krankenakten der Heil- und Pflegeanstalt enthalten vornehmlich Informationen zu Epileptikern, Patienten mit verschiedenen Stufen der Neurolues und Patienten mit diagnostizierter geistiger Behinderung (veraltet "Schwachsinn" ), seltener zu schizophrenen Patienten, zu Psychopathen bzw. anderweitig Erkrankten. Die Klassifikation der Erkrankungen erfolgte mit Hilfe des Würzburger Schlüssels .
Besondere Erwähnung in der Verzeichnung finden Dokumente bzgl. der "Aktion T4" (Meldebogen 1 sowie Urteile, Gutachten oder Berichte zu Sterilisationen), Lebensläufe, Sippentafeln und Krankengeschichten anderer Krankenhäuser. In den Akten der Heil- und Pflegeanstalt lässt sich bzgl. der Behandlungsmethoden kaum eine Entwicklung erkennen. Epileptiker wurden mit Luminal behandelt. Die Progressive Paralyse wurde in ihrem Verlauf durch die Gabe von Quecksilberpräparaten abgemildert. Alle Patienten der Heil- und Pflegeanstalt wurden während der Zeit ihres Aufenthaltes mit Arbeiten im Krankenhausalltag beschäftigt, wenn es der Gesundheitszustand zuließ.
Die Akten der Hospitalabteilung enthalten v. a. Informationen über Patienten mit Frakturen, mit Alterskrankheiten (Demenz, senile Erscheinungen), mit Sklerosen (Arteriosklerose, Cerebralsklerose), mit Kriegsverletzungen, mit Geschwüren, Karzinomen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Des Weiteren befinden sich Fiebertabellen, Gewichtstabellen, Krampfkurven, Gutachten, Intelligenzprüfungsbögen, Briefe, Postkarten, Fotos, Röntgenaufnahmen und Anfallsbeschreibungen in den jeweiligen Krankenakten des Bestandes.
Der Bestand kam in alphabetischer Ordnung ins Landesarchiv Berlin. Die Einzelakten wurden in Schnellheftern überliefert, die aufgrund des schlechten Zustandes teilweise mit Jurismappen und neuen Aktendeckeln ersetzt wurden. Die Registratursignaturen wurden mit verzeichnet. Es erfolgte keine Aktenumbildung.
Die ersten sechs Akten entstammen einer Abgabe der Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH im Jahr 2008, welche die Akten der Irrenanstalt Dalldorf / Wittenauer Heilstätten / Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik betrafen.
Die weiteren Akten wurden 2009 vom Vivantes-Krankenhaus Hellersdorf übergeben. Die Abgabe umfasste ca. 100 lfm. und erstreckt sich auf die Reposituren A Rep 003-04-11 "Städtische Heil- und Pflegeanstalt Wuhlgarten" (bis 1945) und C Rep 745 "Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus". Hierbei handelte es sich Patientenakten nach Entlassungsdatum 1940-1970, des Weiteren um Patientenakten nach Geburtsmonaten (1878-1970) und Ordner mit Forensikakten (1950-1970).
Weitere Akten stammen aus der VIVANTES Hellersdorf - Abgabe (Februar/März 2009) und wurden durch die Praktikantin Frau Busse entsprechend der Provenienz hier eingearbeitet. Bötticher November 2009
Eine weitere Akte aus dem Bundesarchiv (EVZ XLV/10 Nr. 3) wurde hier im September 2011 in den Bestand eingearbeitet.
Der Bestand wurde u.a. im Rahmen eines Praktikums mit der Software Augias Archiv 8.1. neu verzeichnet und ist nun über die Findmittel Datenbank und Findbuch zugänglich.
Zahlreiche Akten sind auf Grund archivgesetzlicher Bestimmungen bzw. der EU-Datenschutz-Grundverordnung für die Benutzung befristet gesperrt. Eine Verkürzung der Schutzfristen kann auf Antrag erfolgen. Dazu bedarf es der besonderen Zustimmung des Landesarchivs.
Er ist wie folgt zu zitieren: Landesarchiv Berlin, A Rep. 003-04-11, Nr. ...
3. Korrespondierende Bestände
A Rep. 000-02-01 Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin
A Rep. 001-06 Magistrat der Stadt Berlin, Personalbüro
A Rep. 003-04-01 Heil- und Pflegeanstalt Buch
A Rep. 010-01-01 Magistrat der Stadt Berlin, Hochbaudeputation
A Rep. 010-01-02 Magistrat der Stadt Berlin, Tiefbaudeputation
C Rep. 745 Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus
4. Literatur- und Quellenverzeichnis
75 Jahre Städtisches Krankenhaus Wuhlgarten Berlin 1893 - 1968, hrsg. von der Direktion des Wilhelm-Griesinger-Krankenhauses Berlin (Berlin, 1968)
100 Jahre Wuhlgarten 1893-1993 Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie, hrsg. vom Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus, Krankenhausbetrieb von Berlin-Marzahn (Berlin, 1993)
Die Patienten der Wittenauer Heilstätten in Berlin 1919-1960 (Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, Heft 91), Hrsg. von T. Beddies und A. Dörries (Husum, 1999)
Internetquellen:
www.imedo.de/medizinlexikon/intelligenzminderung (letzter Zugriff: 13.01.2010)
www.stangl.eu/psychologie/definition/debilitaet.shtml (letzter Zugriff: 12.01.2010)
www.stangl.eu/psychologie/definition/imbezillitaet.shtml (letzter Zugriff: 12.01.2010)
http://de.wikipedia.org/wiki/Neurolues (letzter Zugriff: 20.11.2009)
Berlin, Januar 2010/Juni 2017 Kerstin Bötticher und Claudia Busse
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A Rep. 003-04-11
- Context
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Landesarchiv Berlin (Archivtektonik) >> A Bestände vor 1945 >> A 2 Magistrat der Stadt Berlin >> A 2.4 Nachgeordnete städtische Behörden und Einrichtungen >> A Rep. 003-04-ff. Städtische Krankenhäuser sowie Heil- und Pflegeanstalten
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28.02.2025, 2:13 PM CET
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