Der freie Zugang zu Bildern ist Menschenbildung! – Ein Gespräch zur Zukunft des Urheberrechts
Die Deutsche Digitale Bibliothek hat die Aufgabe den freien Zugang zum deutschen kulturellen Erbe im Internet zu ermöglichen und vernetzt dafür die Angebote ihrer Partner, die deutschen Kultur- und Wissenseinrichtungen. Ein wichtiges Arbeitsfeld ist hierbei die Auseinandersetzung mit geltendem Urheberrecht und die Frage, wie Kultur- und Wissenseinrichtungen ihre Werke online zeigen können, ohne dass die Interessen der Urheber und Rechteinhaber beschädigt werden.
Im September letzten Jahres stellte die Europeana, die europäische Kulturplattform, in die das gesamte digitale Kulturerbe aus Europa und für Deutschland aus der Deutschen Digitalen Bibliothek einfließen, ein Positionspapier vor, in dem sie eine Aktualisierung des europäischen Urheberrechts fordert. Das Positionspapier betont:
„Allowing cultural heritage institutions to make [their] material available on their own websites under a tailored exception will not cause harm to creators, publishers or other rights holders. Instead it would be complementary to their activities and ensure increased access to the full diversity of European Culture.”
Das bestätigten zwei bekannte Gegenwartskünstlerinnen in einem Gespräch im Rahmen der Konferenz „Zugang gestalten! Mehr Verantwortung für das kulturelle Erbe“ am 5./6. November im Altonaer Museum in Hamburg, das Ellen Euler, Stellvertreterin des Geschäftsführers Finanzen, Recht, Kommunikation der Deutschen Digitalen Bibliothek, zur Zukunft des Urheberrechts führte. Als Gesprächspartner waren geladen die Künstlerinnen Anja Jensen und Frauke Dannert, Gerhard Pfennig (ehemals VG Bild-Kunst), Till Kreutzer (Jurist), Antje Schmidt (Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg) und Hanns Peter Frentz (bpk). Eine zentrale Fragestellung des Gesprächs war, wie angesichts der technologischen Entwicklungen Werke im Internet geteilt, gezeigt und genutzt werden können.
Ist das Vermitteln von Kunst und Kultur über Kulturinstitutionen und deren digitale Sammlungen Werbung für die Künstler oder muss der Künstler hierfür entschädigt werden? Welche Freiheiten braucht die “Sharing & Remix Community”? Wie lässt sich sicherstellen, dass weder die Interessen der Urheber und Rechteinhaber, noch die der Nutzer zu kurz kommen?
Aus der insgesamt anderthalb Stunden dauernden Diskussion, soll hier ein wichtiger Aspekt, nämlich die Problematik des Zeigens der Bilder aus der Perspektive von Institutionen und Urheberinnen, in diesem Fall bildender Künstlerinnen, herausgeschnitten werden. Einen weiteren wichtigen Aspekt, den, wie frei Kulturerbeeinrichtungen den Zugang über das Internet gestalten können, wird ein Folgebeitrag behandeln.
Eine kurze Einführung in die aktuelle Gesetzgebung
Um es Kultur- und Wissensinstitutionen wie Museen, Archiven, Bibliotheken und Mediatheken zu ermöglichen, ihre Bestände möglichst umfassend, also auch das 20. und 21. Jahrhundert, online zu zeigen, wurden auf europäischer und nationaler Ebene für bestimmte Werke Regelungen geschaffen: Die Regelung für „Verwaiste Werke“ und die Regelung für „Vergriffene Werke“. Beide Regelungen haben in der praktischen Anwendung allerdings Defizite:
Die „Verwaiste Werke“ Regelung hat nur einen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich. Sie gilt nur für bestimmte Werkarten wie Film, Ton und Text und hier auch nur für Werke, bei denen die Rechteinhaber entweder nicht identifizierbar oder lokalisierbar sind. Um diese Rechtesituation zu klären, ist eine „sorgfältige Suche“ vorgegeben, an deren strengen Vorgaben Massendigitalisierungsprojekte in der Praxis scheitern: Zu wenig Personal und Ressourcen stehen zur Verfügung, um diesen Aufwand zu betreiben.
Auch die „Vergriffene Werke“ Regelung hat nur eingeschränkt weitergeholfen. Als Verwertungsgesellschaftslösung ermöglicht sie den Einrichtungen über das Urheberwahrnehmungsrecht, gegen Zahlung einer geringen Lizenzgebühr, vergriffene Werke zu nutzen. Als vergriffene Werke gelten Werke, für die kein verlegerisches Angebot mehr existiert und die folglich über den Buchhandel nicht mehr lieferbar sind. Aber auch diese Regelung hat einen nur sehr eingeschränkten Anwendungsbereich, nämlich Text.
"Es fehlt eine digitale Katalogbildschranke für das Internet, die es Kulturerbeeinrichtungen erlaubt ihre Kulturschätze im Internet zu zeigen" – Ellen Euler
Für das analoge Umfeld gibt es eine Bestimmung, die es erlaubt Abbildungen geschützter Werke ohne die Zustimmung der Rechteinhaber für Bestandskataloge zu nutzen. Für das digitale Umfeld gibt es hingegen keine entsprechende Bestimmung. Deshalb müssen die Kulturerbeeinrichtungen für jedes Abbild von Werken, die noch geschützt sind, klären, ob sie dieses nicht nur digitalisieren, sondern auch als digitales Objekt über das Internet zeigen dürfen.
Deutsche Digitale Bibliothek vs. VG Bild-Kunst: Lösungsansätze
Die Deutsche Digitale Bibliothek versucht dieses Problem für die Kultur- und Wissenseinrichtungen durch einen Rahmenvertrag mit der VG Bild-Kunst zu lösen. Die VG Bild-Kunst ist eine Verwertungsgesellschaft zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten. Sie vertritt die Künstlerinnen von Werken der bildenden Kunst, also solche im visuellen Bereich.
Mit der VG Bild-Kunst wurde ein Vertrag ausgehandelt, der es der Deutschen Digitalen Bibliothek erlaubt hätte, diese Werke in mittlerer Auflösung im Internet zu zeigen. Als Vertrag zugunsten Dritter wären auch die mit der DDB kooperierenden Einrichtungen privilegiert gewesen ihre Inhalte nicht nur über die Webseite der DDB, sondern auch auf der eigenen Seite zu zeigen. Nun konnte der Vertrag nicht zustande kommen, da auf europäischer Ebene zwei Urteile ergangen sind, die das System der Lizenzierung einzelner Nutzungen zum Erodieren bringen.
Nach dem „Best-Water International Urteil“ und dem „Svensson Urteil“ des Europäischen Gerichtshofs könnten beispielsweise redaktionelle Inhalte bebildert werden, indem Bilder aus der Deutschen Digitalen Bibliothek eingebettet werden, ohne dass diese bei der VG Bild-Kunst lizenziert werden. Die VG Bild-Kunst sieht sich nun außerstande, einen Tarif anzubieten, der die befürchteten Einnahmeverluste ausgleicht. Sie will einen Vertrag nur unter der Voraussetzung schließen, dass die Deutsche Digitale Bibliothek eine so genannte "Framingverhinderungstechnologie“ implementiert.
Der Vorstand der DDB, der sich mit der Problematik und den Aufwänden auseinandergesetzt hat, hat sich dagegen ausgesprochen, diese Technologie zu implementieren. Gründe waren, dass sie nicht nur der offenen Architektur der DDB widerspricht, sondern auch einen hohen Implementierungsaufwand erfordern würde, die durch die mit der DDB kooperierenden Einrichtungen überhaupt nicht zu leisten wäre (sodass diese nicht mehr begünstigt wären) und außerdem alle Inhalte betreffen würde und nicht ohne weiteres nur auf die VG Bild-Kunst Inhalte beschränkt werden könnte.
"Framingverhinderungstechnologie ist ein gutes Wort für das Galgenmännchenspiel - sonst nicht zu gebrauchen. Wir benötigen eine Lösung ohne!" Ellen Euler
Und was sagen die Urheberinnen?
Die freie Künstlerin Anja Jensen antwortet auf die Frage, wie sie es beurteilt, dass ihre Kunst nicht mehr in der Deutschen Digitalen Bibliothek verfügbar ist, wenn der Vertrag mit der VG Bild-Kunst nicht zustande kommt, sehr bestimmt:
„Gerne möchte ich, dass meine Bilder in der Deutschen Digitalen Bibliothek zu finden sind – ich möchte aber nicht, dass hinter meinem Rücken Geld mit meinen Arbeiten verdient wird, ohne dass ich dran beteiligt bin. Das ist ein zweischneidiges Schwert.
Auf der anderen Seite ist für mich Kunst gleich Kommunikation. Was nützt mir eine Kunst, die in Archiven eingelagert ist? Was nützt meine Kunst, meine Bilder, wenn ich sie nicht zeigen kann? Und dazu gehört eben nicht nur, dass ich sie auf Messen, in Ausstellungen, in Katalogen zeige, sondern dass sie auch allgemein zugänglich gemacht werden: für den Bildungssektor, für die Weiterbildung.
Aber ich sehe auch das Problem der Kommerzialisierung. Als Beispiel: Ich bereite gerade eine Ausstellung vor. Für die Pressearbeit gebe ich all mein Bildmaterial raus und das wird publiziert. Dann möchte aber vielleicht nach der Ausstellung jemand einen Bericht machen. Das erste, was erfragt wird, ist: ‚Was kosten die Bilder?‘. Ich nenne die Preise aus der Tabelle der VG Bild-Kunst und bekomme als Antwort ‚Vielen Dank, Frau Jensen, das ist nett, aber wir werden es nicht zeigen.‘
Und was mache ich dann? Ich kann einen sechsseitigen Bericht in Korea, Shanghai, Warschau bekommen. Verzichte ich drauf? Nein, ich lasse mich freistellen, weil ich daran interessiert bin, dass meine Bilder zugänglich sind. Ich möchte gerne das Geld dafür haben, aber die Realität zeigt mir, dass ich es nicht bekomme.
Das ist jetzt von der Künstlerseite aus gesprochen. Ich bin eben darauf angewiesen. Ich verdiene mein Geld nicht damit, dass ich meine Bilder ins Netz stelle. Aber ich möchte, dass möglichst viele Menschen Zugriff darauf haben und ich möchte Teil des kulturellen Gedächtnisses sein. Denn wenn wir alles mit Bezahlschranken belegen, wird nur noch ein kleiner Teil zugänglich sein und der Rest verschwindet aus diesem Gedächtnis.
Was im Übrigen immer schon so gewesen ist: Kunstgeschichte ist immer eine Präsentation der Highlights der jeweiligen Epoche. Aber im Zeitalter einer Globalisierung sollten wir – denke ich – möglichst viele Werke dem Publikum zur Verfügung stellen.
Und auf einen letzten Aspekt möchte ich noch hinweisen: Ich habe lange in der Schule als Studienrätin für Kunst und Französisch gearbeitet, habe an der Sigmund-Freud-Universität in Wien den Masterstudiengang Kunsttherapie unterrichtet. Und wieder wird wichtig: Wir brauchen diesen Zugang zu Bildern. Bilder zu zeigen und Zugang zu haben, ist Menschenbildung!“
Anja Jensen würde nach dem Gesagten die Deutsche Digitale Bibliothek freistellen ihre Bilder zu zeigen und auch andere Kulturportale, die das wollen. Sie ist der festen Überzeugung, dass Bezahlschranken nicht verhindern dürfen, dieses Material zu zeigen.
Das bestätigt in der Diskussion die Künstlerin Frauke Dannert. Sie möchte, dass ihre Bilder über das Internet geteilt werden und möglichst viel besprochen werden von Journalisten, aber auch Bloggern. Beide Künstlerinnen sind der Ansicht, dass Künstlerinnen, die sich vor die Option gestellt sehen, ihre Bilder vielfacht geteilt und besprochen zu sehen, oder durch das Lizenzieren einzelner Nutzungen von Abbildungen zusätzliche Einnahmen zu erwirtschaften, letzteres in den Hintergrund tritt.
Ein vorläufiges Fazit
Für bildende Künstlerinnen muss es neue Lösungen geben eine angemessene Vergütung für das kreative Schaffen zu erhalten. Das will auch die Deutsche Digitale Bibliothek. Sie unterstützt, dass Künstlerinnen und Verwerter für die kreativen Beiträge, die sie leisten, angemessen entlohnt werden und an Nutzungen durch Dritte teilhaben. Sie will diese nicht kommerziell auswerten, sondern einen Zugang zu diesen Werken für alle vereinfachen und neue Schöpfungen ermöglichen und inspirieren.
Die Deutsche Digitale Bibliothek ist weiterhin mit der VG Bild-Kunst im Gespräch. Die Gespräche verlaufen nach wie vor in einem sachlichen, von der Suche nach einer Lösung geprägten Rahmen. Deutlich wurde, dass die VG Bild-Kunst keiner Lösung zustimmen kann, die die vertretenen Künstlerinnen und Künstler benachteiligt und ihnen die Einnahmeverluste aufbürdet. Auf der anderen Seite haben sich in dem Gespräch eben jene Künstler/innen öffentlich geäußert und zu erkennen gegeben, dass ihnen das Zeigen ihrer Kunst wichtiger ist, als mögliche unvergütete Anschlussnutzungen durch Framing.
"Schlimmer als der Rechtsverstoß ist das Vergessen" – Paul Klimpel
Im Ergebnis bestätigt dies das Bemühen der Deutschen Digitalen Bibliothek, zu einer Schrankenregelung bei der Modernisierung des Urheberrechts zu kommen. Da diese nicht kurzfristig zu erwarten ist, wird weiterhin versucht, zunächst zu einer vertraglichen Regelung zu gelangen.
Die komplette Diskussion zum Nachhören:
https://voicerepublic.com/talks/gesprach-uber-die-zukunft-des-urheberrechts