Von Phil Collins‘ „gated reverb“, der den Sound der 80er wie kein anderer prägte, bis zu den Breakbeats des Hip Hop – das Schlagzeug ist das rhythmische Rückgrat populärer Musik. 2022 ist es außerdem Instrument des Jahres. Ein Grund für uns, eine rhythmische Spurensuche durch die Deutsche Digitale Bibliothek anzutreten. Die Reise führt uns einmal quer über den Globus, denn das Schlagzeug hat streng genommen zwar erst 124 Jahre auf dem Buckel, seine historischen Wurzeln reichen aber wesentlich tiefer und umspannen musikalische Traditionen aus der ganzen Welt.

Bevor wir beginnen, stellt sich die Frage, was ein Schlagzeug eigentlich ist. Der Name „Drumset“ deutet an, dass es sich um eine Sammlung von Schlaginstrumenten handelt. Diese kann nahezu beliebig erweitert oder reduziert werden. Zum Standardschlagzeug gehören inzwischen eine große Trommel (Bass Drum), die per Fußmaschine gespielt wird, und eine kleine Trommel (Snare Drum). Dazu kommen mehrere kleine Trommeln, die auch Toms genannt werden und eine Hi Hat, das ist ein Doppelbecken, welches ebenfalls mit dem Fuß gespielt wird. Außerdem hat ein Standardschlagzeug ein einzelnes großes Becken, das Ridebecken.

Trommeln: Trommelnde Götter, sprechende Trommel und Trommeltelegrafie

Schlaginstrumente gehören zu den ältesten Musikinstrumenten der Menschheit. Nahezu alle Kulturen haben eine „Trommeltradition“. Zum Trommeln braucht es auch nicht zwangsläufig ein Instrument. Hände und Füße, Klatschen und Stampfen reichen aus, um einen Rhythmus zu erzeugen. Frühe Schlaginstrumente bestehen oft aus Hölzern und auch heute noch finden Klanghölzer musikalische Verwendung.

Einige der ältesten heute bekannten Trommeln stammen aus China. In der neolithischen Fundstätte Taois entdeckte man mit Krokodilhäuten bezogene Holztrommeln, die mehr als fünftausend Jahre alt sind. Als Grabbeigaben lassen sich Trommeln auch bei den alten Ägyptern finden.

Trommeln werden allerdings nicht (nur) zum musikalischen Vergnügen genutzt, sondern begleiten auch Rituale. In der hinduistischen und buddhistischen Mythologie wird der Damaru, einer sanduhrförmigen Rasseltrommel, eine besondere Bedeutung beigemessen. In der Form des Nataraja wird der hinduistische Gott Shiva oft mit einer solchen Trommel in der Hand dargestellt. Die tibetanische Damaru wird gelegentlich aus Schädeln gefertigt. Diese stammen häufig von bedeutenden Lehrenden, weshalb die Trommel nur von hochrangigen Mönchen gespielt werden darf.

Trommeln werden weltweit auch als Kommunikationsmittel verwendet. Auf dem afrikanischen Kontinent, aber auch in Süd- und Mittelamerika sowie in Südostasien und Ozeanien gibt es Nachrichtentrommeln in Form sogenannter Schlitztrommeln. Je größer die Trommel, desto lauter der Ton und damit die Reichweite des Signals. Manche Schlitztrommeln bestehen deshalb aus ausgehöhlten Baumstämmen und sind mehrere Meter lang. Mit diesen Trommeln können über weite Strecken hinweg, also beispielsweise zwischen zwei Dörfern, Signale ausgetauscht werden. Man spricht hier auch von Trommeltelegrafie.

In Westafrika sind sogenannte Sprechtrommeln verbreitet. Die sanduhrförmige Kalangu beispielsweise wird vor allem im Norden Nigerias verwendet. Während des Spielens kann die Spannung der Trommelmembran und damit die Tonhöhe verstellt werden. Das funktioniert folgendermaßen: Die zwei Trommelmembranen oben und unten sind durch Schnüre miteinander verbunden. Die Kalangu wird beim Spielen unter den Arm geklemmt. Dadurch lässt sich Druck auf die Schnüre ausüben, was wiederum die Tonhöhe verändert. Durch die unterschiedlichen Tonhöhen lassen sich tonale Sprachen wie Twi, Hausa und Dagomba, die vor allem in Westafrika gesprochen werden, nachahmen.

Diese Trommelsprachen werden als Surrogatsprachen bezeichnet. Sie sind keine eigenständigen Sprachen mit eigener Grammatik wie zum Beispiel die Gebärdensprache, aber auch kein reiner Ersatz wie das Morsen. Die Trommelsprachen beruhen auf genau den Elementen, die ein Morsecode nicht vermitteln kann: Tonhöhe, Sprechrhythmus, Sprachmelodie, Silbenlänge und Geschwindigkeit der Ausgangssprache. Deshalb variieren sie auch je nach der Sprache, auf der sie basieren. Heute finden Sprechtrommeln vor allem musikalische Verwendung: von afrikanischer Popmusik bis zu Filmsoundtracks.

Und was hat das mit dem Schlagzeug zu tun? Das Schlagzeug entsteht zwar erst im 19. Jahrhundert in den USA, ist aber untrennbar mit der Geschichte der afroamerikanischen Bevölkerung verbunden. Das Drumset haben wir maßgeblich der Kreativität und kulturellen Resilienz afroamerikanischer Musiker*innen zu verdanken.

Trommel-Verbote und Unterdrückung

Infolge des atlantischen Sklavenhandels werden zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert Millionen von Menschen vor allem aus Westafrika und aus der Karibik in die USA verschleppt. In den Kolonien, später den Vereinigten Staaten von Amerika, werden viele von ihnen zu schwerster körperlicher Arbeit auf Plantagen gezwungen.

Im späten 18. Jahrhundert erlassen verschiedene britische Kolonien Gesetze, die versklavten Menschen das Trommelspiel verbieten. Grund dafür ist wohl einerseits die Angst, dass versklavte Menschen wie zuvor in ihrer afrikanischen Heimat per Trommel kommunizieren und so Aufstände koordinieren könnten. Beim Stono-Aufstand aus dem Jahr 1739 spielen Trommeln tatsächlich eine wichtige Rolle. Das Trommel-Verbot dürfte aber vornehmlich ein Macht- und Unterdrückungsinstrument gewesen sein. Denn sie verbieten versklavten Menschen, Traditionen aus ihren Heimatländern fortzuführen, sich auszudrücken und durch Musik ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln. Letzteres ist glücklicherweise nur bedingt erfolgreich. Auf den Plantagen der Südstaaten entsteht im 19. Jahrhundert beispielsweise der Juba- oder Hambone-Tanz. Er vereint kongolesische, karibische und guyanische Tanzformen. Anstatt mit Trommeln wird der Rhythmus durch Klatschen und Stampfen erzeugt.

Von den finanziellen Vorzügen des Schlagzeugs

Wichtig für die Entwicklung des Schlagzeugs ist auch die europäische Marschmusik. Schon in der Antike sind Trommeln und Blasinstrumente Bestandteil der Kriegführung. In Europa entstehen im Mittelalter musikalische Signale, die militärische Befehle akustisch übermitteln. Mit der Professionalisierung europäischer Streitkräfte erlangt schließlich das Exerzieren und damit die Marschmusik an Bedeutung. Trommeln, Flöten und Trompeten helfen dabei, den Gleichschritt einzuhalten. Im 19. Jahrhundert kristallisiert sich eine feste Besetzung der Militärkapellen heraus. Große Trommel (Bass Drum) und kleine Trommel (Snare Drum oder Marschtrommel) sind nun Bestandteil des Militärorchesters. Der zentrale Unterschied zum Schlagzeug ist, dass eine Trommel von lediglich einer Person gespielt wird. Das soll sich auf der anderen Seite des atlantischen Ozeans aber bald ändern.

Mit der Niederlage der Konföderation im Amerikanischen Bürgerkrieg wird 1865 die Sklaverei in den Vereinigten Staaten abgeschafft. Damit enden auch die letzten Trommel-Verbote. Afroamerikaner*innen eignen sich Instrumente anderer Kulturen an und entwickeln sie weiter. Grund dafür ist möglicherweise neben den Trommel-Verboten die weiter bestehende Stigmatisierung afroamerikanischer Instrumente.

Insbesondere New Orleans ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein musikalischer Schmelztiegel. Das Schlagzeug verbindet europäische, chinesische und türkische Instrumente. Die Bass Drum und die Snare Drum kommen aus der europäischen Marschmusik. Die kleinen Toms haben chinesische Wurzeln. Das Becken hat seinen Ursprung im Osmanischen Reich. Durch die 1623 gegründete Firma Zildjian verbreiten sie sich zunächst in Europa und dann in den USA. Heute ist Zildjian einer der größten Hersteller von Schlagzeugbecken weltweit.

Damit haben wir die einzelnen Schlaginstrumente, aber immer noch kein Schlagzeug. Dieses verdanken wir gewieften (oder verzweifelten?) Musiker*innen. Denn kombiniert man Trommeln und Becken in einem Instrument, hat man das ganze Schlagwerk, muss aber nur eine Person fürs Spielen bezahlen. Grund dieser Rationalisierung sind womöglich finanzielle Schwierigkeiten einzelner Orchester. Auch Räumlichkeiten spielen eine Rolle, denn in Tanzlokalen und auf Ausflugsdampfern ist im Gegensatz zu Orchestergraben und Schlachtfeld nur wenig Platz. Einige Bandleader ergreifen auch die Möglichkeit, das Honorar für ein größeres Orchester einzustreichen und am Ende nur eine*n Musiker*in zu bezahlen.

Zentral für die Kombination der verschiedenen Schlaginstrumente ist die Entwicklung des Fußpedals für die Bass Drum. Das Patent wird 1887 durch George R. Olney angemeldet. Wahrscheinlich existieren ähnliche Apparaturen aber schon früher, denn Drummer*innen entwickeln ihre Instrumente unabhängig voneinander ständig weiter. Patente werden dann häufig mit Zeitverzögerung von wohlhabenden (oft weißen) Geschäftsleuten angemeldet.

Das Schlagzeug wird in den USA zunächst als Trap Set bezeichnet. „Trap“ kommt vom englischen Begriff „trappings“, was auf Deutsch so viel wie „Drumherum“ bedeutet und das frühe Schlagzeug gut beschreibt. Denn zu den Trommeln und Becken gesellen sich, je nach Geschmack noch Triangeln, Tamburine, Waschbretter, Pfeifen, Vogelstimmen und vieles mehr. Einige Drummer*innen sind nicht nur musikalisch unterwegs, sondern betätigen sich als Performer. Zu ihren Trap Sets gehören sogar Spezialeffekte.

Über den Jahrhundertwechsel hinweg verbreitet sich das Schlagzeug stetig in den USA. Dass mit dem Schlagzeug mehrere Trommeln und Becken gleichzeitig gespielt werden, hat auch musikalische Auswirkungen. Unter dem Einfluss afrikanischer, afroamerikanischer und westindischer Musik entsteht in New Orleans ein von Synkopen und Improvisation geprägter Stil. Aus Blues und Jazz ist das Schlagzeug schon bald nicht mehr wegzudenken.

1918 bringt die Firma Ludwig das erste „komplette“ Schlagzeug auf den Markt. Der weltweiten Verbreitung von Blues, Jazz, Rock ’n’ Roll, Soul, Pop, Hip-Hop, kurz: der populären Musik des 20. Jahrhunderts steht nichts mehr im Wege. Zu diesem Zeitpunkt hat das Drumset eine Geschichte hinter sich, die so lang und vielfältig ist wie die Geschichten und Ursprünge ihrer einzelnen Instrumente. Ob elektronisches Schlagzeug, Drum Machine, oder analoges Drumset, das Schlagzeug lebt und schlägt in gegenwärtiger Musik weiter.

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