MONSTER! Ein historischer Streifzug auf den Spuren des Ungeheuerlichen

21.10.2024 Theresa Rodewald (Online-Redaktion)

Ob überlieferte Sage, jahrhundertealtes Gemälde, halbvergessener Groschenroman oder eigener Albtraum: Monster begleiten uns Menschen seit Jahrtausenden. Sie stehen für das Bedrohliche, das Unbekannte und Erschreckende – in uns und in anderen. Doch was macht ein Monster eigentlich aus? Was erzählt es uns über kollektive Ängste, Ausgrenzungen, über Unterhaltung und über die Gesellschaft?

Monstrum und „Gehiure“ – ein etymologischer Exkurs

Das Wort Monster kommt vom lateinischen monere, was so viel wie warnen oder mahnen heißt. Monstrum bezeichnet im Lateinischen ein unnatürliches Ereignis oder ein außergewöhnliches Tier im Sinne eines bösen Omens. 

Neben dem Monster kennt der deutsche Sprachgebrauch noch das Ungeheuer. Dieses geht auf das mittelhochdeutsche gehiure zurück, was lieblich oder angenehm bedeutet. Etymologisch ist es außerdem mit dem germanischen hī̌w verwandt, das mit Heim oder Heirat in Verbindung gebracht wird. Das Ungeheuerliche verneint also das Angenehme und Vertraute und trifft damit den Kern des Monsters: Es ist das Andere, das Fremde, oft auch das Entmenschlichte.

Monster in Menschengestalt wie Graf Dracula sind eine relativ junge Erscheinung. In der Antike und im Mittelalter sind Monster oft Mischwesen aus Mensch und Tier. Neben Fabelwesen gelten auch Menschen, Tiere und Pflanzen als monströs, die vom als „normal“ definierten Erscheinungsbild abweichen. Normal ist – wenig überraschend – der weiße, männliche Körper. Frauen, BIPoC (Schwarze, Indigene und nicht-weiße Menschen) oder Menschen mit Behinderung sind diesem patriarchal und rassistisch geprägten Weltbild zufolge praktisch per se monströs unnormal.

Auf Reisen – wunderliche Tiere und ungeheuerliche Mischwesen

Reiseberichte, egal ob aus der Antike, dem Mittelalter oder der frühen Neuzeit beinhalten oftmals Beschreibungen von mythischen Kreaturen wie Einhorn und Greif oder wunderlichen Menschen und Mischwesen. Als „Beweis“ kommen oft Augenzeugen zu Wort. In seiner Medulla Mirabilia Naturae berichtet der Sulzbacher Hofbeamte Johann Heinrich Seyfried von brasilianischen Meermenschen und Meerbischöfen – letztere sehen verdächtig aus, wie eine Mischung aus Mensch und Rochen. Wo ein Meerbischof ist, darf ein Meermönch natürlich nicht fehlen.

Neben diesen geistlichen Meeresbewohnern finden sich in Seyfrieds Werk noch Wald- und Wassermenschen sowie ein Skythisches Lamm. Dieses wird auch Baumlamm genannt und wächst (angeblich) aus einer Pflanze hervor. Das Lamm ist am Nabel mit einem biegsamen Pflanzenstamm verbunden, der es ihm erlaubt, hin- und herschwingend gemütlich zu grasen. Nur kann es sich leider nicht fortbewegen und muss, nachdem das Gras in Schwingweite verspeist ist, leider verhungern. Das Baumlamm löste in der Renaissance unter Philosoph*innen und Botaniker*innen übrigens hitzige Debatten aus – sie konnten sich nicht einigen, ob und wenn ja wo das Pflanzentier existierte.

Monster als Teil der Schöpfung

Auf mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Land- und Seekarten befinden sich Monster an den Rändern der Welt – sie werden buchstäblich ausgegrenzt, sind aber Teil der Welt. So auch auf der um 1300 entstandenen Ebsdorfer Weltkarte, die das mittelalterliche Weltbild besonders umfassend wiedergibt. Noch hinter den Fabelwesen und Monstern am äußersten Kartenrand befinden sich sogenannte Wundervölker – sie werden auch Fabelvölker oder monströse Völker genannt. Aus heutiger Sicht muten ihre Beschreibungen sonderlich an: Von Menschen mit vier Augen, zusammengewachsenen Mündern oder nasenlosem Gesicht ist die Rede.

 

Wundervölker und Monster sind fester Bestandteil des mittelalterlichen Weltbilds. Wunderliche Menschen, Drachen, Riesen und andere Ungeheuer existieren nicht etwa als Metapher, sondern als „reale“ Lebewesen. Für Augustinus sind Monster keine Ausgeburten des Bösen, sondern Teil der Schöpfung.

Wenn Reiseberichte des Mittelalters also Beschreibungen von Monstern oder wundersamen Menschen und Tieren enthalten, geht es vornehmlich darum, das Unbekannte abzubilden und so die Schöpfung in ihrer Gänze darzustellen. Sie versinnbildlichen einerseits die Erhabenheit der Schöpfung als Ganzes und sind andererseits Ausdruck der Schöpferkraft, also der Kreativität Gottes.
Im Spätmittelalter wandelt sich die Bedeutung der Monster. Sie sind nicht länger Gottes Geschöpfe, sondern mehr und mehr Produkte der menschlichen Vorstellungskraft mit metaphorischer Bedeutung.

Sittenmonster und ungeheuerliche Pathologien

In der Aufklärung und der Renaissance ist das Übernatürliche und Ungeheuerliche nicht länger Teil der realen Welt, sondern wird zunehmend wissenschaftlich erforscht und medizinisch erklärt. Das Monströse verschiebt sich in den Bereich des Pathologischen.

Im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert kommt z. B. der Begriff des Sittenmonsters auf. Der französische Diskurstheoretiker Michel Foucault setzt sich seiner Vorlesung Die Anormalen mit dem Thema auseinander und erklärt: Während das Körpermonster äußerlich durch sichtbare anatomische Abweichungen auffällt, definiert sich das Sittenmonster durch innere Abweichungen und ist als Monster nicht auf den ersten Blick erkennbar. Für die Gesellschaft ist es deshalb umso bedrohlicher.

 

 

Die noch jungen Disziplinen der Kriminologie und der Psychiatrie stempeln Kriminelle nun als Monster ab. Diese gelten als psychisch fehlerhaft – Grund für Verbrechen, so die Vorstellung, sind nicht soziale Umstände, sondern eine psychische Disposition, die sich vererbt. Auch hier zeigt sich, wie eng Vorstellungen von Monstrosität mit sozialdarwinistischen und rassistischen Ideologien verwoben sind.

 

Das „Unnatürliche“ wird nun wissenschaftlich gebändigt, Monster werden in naturkundlichen Sammlungen geordnet und klassifiziert. Kuriositätenkabinette stellen Menschen und Tiere aus. Sie sind Vorläufer der Jahrmärkte und Freakshows, auf denen Menschen, die äußerlich von der Norm abweichen, als Unterhaltung dargeboten werden. Die Angst vor dem Anderen vermischt sich mit der Macht über das angeblich Unnormale und mit der Faszination des Schaurigen.
 

Schauerliteratur, Horrorfilme und menschliche Monster

Im von der Romantik geprägten 19. Jahrhundert haben Monster Hochkonjunktur – jetzt vornehmlich in menschlicher Gestalt. Das Monster ist nun gänzlich zur Metapher geworden und beschreibt allem voran das menschliche Innenleben.

Die Angst vor dem Anderen richtet sich sowohl nach außen – wie in Dracula, der nicht umsonst ein rumänischer Emigrant ist – als auch nach innen – wie im Falle der zwiegespaltenen Persönlichkeit in Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Das monströse Andere in sich und in anderen muss unterdrückt oder zur Strecke gebracht werden.

In der Schauerliteratur – egal ob von Bram Stoker, Mary Shelley oder E.T.A. Hoffmann – mischt sich Angst nun deutlicher denn je mit Faszination und Begehren.

Diese Faszination ebnet den Weg für Bücher und Filme, die die menschliche Seite der Monster erkunden. Sie werden – scheinbar paradox – zu Identifikationsfiguren für für alle, die ebenfalls von der Gesellschaft ausgegrenzt werden, die der Norm nicht entsprechen und sich missverstanden fühlen.

Und heute? Wir sind umgeben von freundlichen Monstern wie jenen der Monster AG. Es gibt Gruselfilme wie z. B. Der Babadook (Jennifer Kent, 2014) oder His House (Remi Weekes, 2020), die Themen wie Mutterschaft und Flucht behandeln und dadurch den realen Horror von Diskriminierung und Ungleichheit widerspiegeln. Vampire wie Edward Cullen in Twilight von Stephenie Meyer sind nicht nur bedrohlich, sondern auch begehrenswert.

Gleichzeitig ist die Idee von Monstern, die bekämpft und ausgegrenzt werden müssen, nach wie vor aktuell – etwa im True Crime Genre. Podcast-Reihen und Serien, die das Monster im Titel tragen, erzählen vom Serienmörder Jeffrey Dahmer oder den Menéndez Brüdern. Sie bringen Abscheu, Faszination und Voyeurismus zum Ausdruck und erzählen dabei auch immer etwas über die Gesellschaft, die das Monster erschafft.

 

Quellen:

Die Leuphana Universität Lüneburg hat eine interaktive Version der Ebsdorfer Weltkarte erstellt, inklusive Übersetzungen aus dem Lateinischen und kurzen Erläuterungen.

https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2019/11/kulturgeschichte-schreckenswesen-aus-den-albtraeumen-unserer-vorfahren 

https://fantastic-beasts.blogs.uni-hamburg.de/fiktion-und-realitaet-die-rolle-der-monster-im-mittelalterlichen-weltbild/

https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/175276/monstroesitaet-das-grosse-modell-aller-kleinen-abweichungen/

https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/175282/die-ganze-scheussliche-kreatur/ 

https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/175278/monster-eine-einfuehrung/ 

https://www.academia.edu/345440/Monster_und_Humanisten_Zum_Bedeutungswandel_der_Monstra_im_ausgehenden_Mittelalter

Zu Caspar Schotts Physica Curiosa: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s00381-009-0827-5.pdf 

„Einleitung“, in: Birgit Stammberger, Monster und Freaks Eine Wissensgeschichte außergewöhnlicher Körper im 19. Jahrhundert (2011)
 

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