Wundervölker und Monster sind fester Bestandteil des mittelalterlichen Weltbilds. Wunderliche Menschen, Drachen, Riesen und andere Ungeheuer existieren nicht etwa als Metapher, sondern als „reale“ Lebewesen. Für Augustinus sind Monster keine Ausgeburten des Bösen, sondern Teil der Schöpfung.
Wenn Reiseberichte des Mittelalters also Beschreibungen von Monstern oder wundersamen Menschen und Tieren enthalten, geht es vornehmlich darum, das Unbekannte abzubilden und so die Schöpfung in ihrer Gänze darzustellen. Sie versinnbildlichen einerseits die Erhabenheit der Schöpfung als Ganzes und sind andererseits Ausdruck der Schöpferkraft, also der Kreativität Gottes.
Im Spätmittelalter wandelt sich die Bedeutung der Monster. Sie sind nicht länger Gottes Geschöpfe, sondern mehr und mehr Produkte der menschlichen Vorstellungskraft mit metaphorischer Bedeutung.
Sittenmonster und ungeheuerliche Pathologien
In der Aufklärung und der Renaissance ist das Übernatürliche und Ungeheuerliche nicht länger Teil der realen Welt, sondern wird zunehmend wissenschaftlich erforscht und medizinisch erklärt. Das Monströse verschiebt sich in den Bereich des Pathologischen.
Im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert kommt z. B. der Begriff des Sittenmonsters auf. Der französische Diskurstheoretiker Michel Foucault setzt sich seiner Vorlesung Die Anormalen mit dem Thema auseinander und erklärt: Während das Körpermonster äußerlich durch sichtbare anatomische Abweichungen auffällt, definiert sich das Sittenmonster durch innere Abweichungen und ist als Monster nicht auf den ersten Blick erkennbar. Für die Gesellschaft ist es deshalb umso bedrohlicher.