Viele öffentliche, öffentlich geförderte und auch private Einrichtungen und Unternehmen stellen zur Zeit ihr Verhältnis zu Social Media auf den Prüfstand – so auch die Deutsche Digitale Bibliothek. Ein erstes Ergebnis davon war im vergangenen Jahr die Einrichtung eines Mastodon-Accounts (https://openbiblio.social/@ddbkultur). Zum Jahresende 2023 gehen wir nun weitere Schritte:
- Mastodon wird der Social-Media-Hauptkanal der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Aktivitäten auf Facebook und X werden eingeschränkt
- Der Twitter-/X-Button verschwindet von den Websites der Deutschen Digitalen Bibliothek
- LinkedIn wird seit Mitte 2023 regelmäßig bespielt
- Bluesky (@ddbkultur.blsk.social) wird seit Mitte 2023 testweise genutzt (hauptsächlich copy/paste von Mastodon)
Die Deutsche Digitale Bibliothek hat begrenzte Ressourcen für ihre Social-Media-Aktivitäten. Die zusätzlich für neue Kanäle aufgewendete Zeit muss an anderer Stelle eingespart werden. Diese „andere Stelle“ sind die kommerziellen Plattformen.
Praktisch sieht das so aus, dass nur auf Mastodon all unsere Beiträge vollständig verfügbar sind und sein werden. Auf X und Facebook veröffentlichen wir Kurzmitteilungen, die auf den vollständigen Beitrag auf Mastodon verlinken. Der Grund: Mastodon baut keine Barrieren auf – man benötigt nicht einmal einen eigenen Account, um sämtliche Beiträge uneingeschränkt zu sehen. Wir möchten alle Interessierten ermutigen, Mastodon eine (weitere?) Chance zu geben und dort mit uns in Austausch zu treten. Hier eine prima Materialsammlung rund ums „How-To-Mastodon“: https://pad.wolkenbar.de/s/mastodon
Ja, es ist insgesamt weniger convenience-orientiert als die kommerziellen Plattformen, aber nur wer schonmal eine Facebook-Fanpage betreuen musste, weiß, was schlechte Bedienbarkeit wirklich bedeutet.
Die Entscheidung für Mastodon zulasten kommerzieller Anbieter ist aber nicht nur eine Frage der Ressourcen – sie ist für eine offene Kulturplattform wie die Deutsche Digitale Bibliothek nur folgerichtig. Als öffentliche Institution mit öffentlichen Ressourcen kommerzielle Plattformen zu nutzen, ist immer ein Dilemma – und ein besonderes im Fall von X, Meta und Co.: Verstöße gegen Datenschutzrecht, Hatespeech, Beteiligung extremistischer und/oder menschenverachtender Accounts an Werbeeinnahmen, Klagen gegen Hatespeech-Forschende, Ignorieren von Hinweisen zu gefährlichen Inhalten, Sperren kritischer Accounts, Abbau von Moderationsteams – die Liste ließe sich weiterführen.
Gabrielle Zevin beschreibt in ihrem klugen Roman „Tomorrow And Tomorrow And Tomorrow“ eine Utopie für Online-Communities: „What I believe in my very core (…), is that virtual worlds (…) can be more moral, more just, more progressive, more empathetic, and more accommodating of difference. And if they can be, shouldn’t they be?“
Eine solche Utopie erscheint uns im freien, dezentralen Fediverse mit Diensten wie Mastodon, Pixelfed und Friendica als möglich – eher jedenfalls als bei den kommerziellen Anbietern, die mit Konflikten mehr Geld verdienen können als mit gegenseitigem Verstehen. Das Fediverse ist eine unterstützenswerte, zu unserer Institution passende Alternative. Hier können Oasen entstehen. Daran wollen wir Teil haben, und dazu wollen wir beitragen. Wir freuen uns über Feedback auf unseren Social-Media-Kanälen (insbesondere bei Mastodon ;) – oder per E-Mail an j.lindenlaub [at] hv.spk-berlin.de.
FAQs
Ist das nicht inkonsequent? Warum kündigt Ihr nicht gleich Eure Accounts auf den kommerziellen Plattformen?
Wir wollen zunächst weiterhin für die Personen erreichbar sein, die diese Plattformen aus den verschiedensten Gründen noch nicht verlassen können oder wollen. Unsere DMs bleiben offen. Außerdem finden wir die Idee sehr charmant, mittels kommerzieller Plattformen Werbung für eine nichtkommerzielle Plattform zu machen.
Warum behandelt Ihr X anders als Meta?
Zum einen möchten wir eine Plattform, die sich in kürzester Zeit stetig negativ entwickelt, so wenig unterstützen wie möglich. Zum anderen ist diese stetig negative Entwicklung das einzig Verlässliche bei X – und das macht uns allen auch einfach wesentlich mehr Arbeit. Von heute auf morgen wird das Logo geändert, das wir dann auf der Website ändern müssen. Übermorgen wird es vielleicht wieder geändert, weil bislang nicht geklärt ist, ob X überhaupt Markenrechte daran besitzen darf. Nächste Woche wird die Blockierfunktion abgeschafft, nächsten Monat ist der Dienst für alle kostenpflichtig. Wir beobachten die weitere Entwicklung jedenfalls sehr genau.
Warum habt Ihr Euch mit Bluesky bei einer anderen kommerziellen und dazu noch geschlossenen Plattform angemeldet?
Wir hegen die kleine Hoffnung, dass es auf Bluesky anders werden könnte und möchten unseren (kleinen) Teil dazu beitragen. Grundsätzlich befürchten wir aber, dass auch Bluesky den Weg aller kommerziellen Plattformen gehen wird, den Cory Doctorow unter dem Schlagwort Enshittification – Scheißewerdung – knapp zusammenfasst: „First, they are good to their users; then they abuse their users to make things better for their business customers; finally, they abuse those business customers to claw back all the value for themselves. Then, they die.“ Auch hier werden wir genau beobachten.
Auf Mastodon gibt es doch auch Hatespeech?
Das ist richtig. Insbesondere seit dem „X“-odus nimmt Hatespeech offenbar auch auf Mastodon zu. Allerdings gibt es aufgrund der dezentralen Struktur unserer Meinung nach grundsätzlich bessere Moderationsmöglichkeiten als bei zentral organisierten, kommerziellen Plattformen, die darüber hinaus von Empörungswellen finanziell profitieren. Gleichzeitig fehlt auf Mastodon die Zitierfunktion a.k.a. „quote tweet“ oder „Drüko“. Eugen Rochko, der Mastodon-Entwickler, erklärt das wie folgt: „I've made a deliberate choice against a quoting feature because it inevitably adds toxicity to people's behaviours. You are tempted to quote when you should be replying, and so you speak at your audience instead of with the person you are talking to. It becomes performative. Even when doing it for "good" like ridiculing awful comments, you are giving awful comments more eyeballs that way. No quote toots.“ (Link: https://mastodon.social/@Gargron/99662106175542726)
Weitere Informationen
Überblick über Meta-Problematik bzgl. Demokratie: https://www.germanwatch.org/de/85243
Pressemitteilung BfDI – Facebook-Fanpages nicht datenschutzkonform: https://www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/06-Untersagung-Betrieb-Fanpage-BReg.html?nn=252104
Meta Threads verstößt gegen Digital Markets Act: https://www.heise.de/news/DSGVO-konform-Threads-wohl-wegen-Digital-Markets-Act-nicht-in-EU-verfuegbar-9212270.html
Meta ignoriert Hinweise auf gefährliche Inhalte: https://www.heise.de/news/Studie-Meta-vernachlaessigt-Hinweise-auf-gefaehrliche-Posts-9233360.html
Twitter bezahlt „high-profile far-right influencers“: https://www.washingtonpost.com/technology/2023/07/13/twitter-creators-payments-right-wing/
Twitter verklagt Hatespeech-Forscher wegen kritischer Berichte: https://edition.cnn.com/2023/08/01/tech/twitter-sues-center-for-countering-digital-hate/index.html
Threads verliert innerhalb kürzester Zeit die Hälfte seiner Nutzer*innen und will KI-Chatbots einsetzen: https://www.derstandard.at/story/3000000181371/x-konkurrent-threads-will-mit-ki-chatbots-die-plattform-retten
„X“ verlangsamt den Zugang via Link zur Konkurrenz und zu kritisch berichtenden Medien: https://www.washingtonpost.com/technology/2023/08/15/twitter-x-links-delayed/
Blueskys Rassismusproblem: https://finance.yahoo.com/news/inside-twitter-rival-bluesky-first-205239947.html
Cory Doctorow über Enshittification kommerzieller Plattformen und deren Tod: https://www.wired.com/story/tiktok-platforms-cory-doctorow/
„There’s not much money to be made in Silicon Valley this way, but a working platform for all users“ – Harald Klinke darüber, warum er auf nichtkommerzielle Plattformen hofft: https://medium.com/@HxxxKxxx/beyond-social-media-fatigue-what-is-the-next-twitter-413be7ea0c3e
Mastodon, nicht Bluesky – Mareike König über Social Media für die Geschichtscommunity: https://zeitgeschichte-online.de/node/70045