Bestand
Oberstes Rückerstattungsgericht (Bestand)
Geschichte des Bestandsbildners:
Beim Obersten Rückerstattungsgericht (ORG) handelt es sich um ein 1955
gegründetes internationales Gericht. Es entschied als oberste
Rechtsmittelinstanz über Streitigkeiten bei Anträgen auf
Rückerstattung der zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945
einem Eigentümer unter politischem Zwang entzogenen, identifizierbaren
Vermögensobjekte. Seine Tätigkeit war also ausschließlich auf das
besondere Sachgebiet der Rückerstattung feststellbarer
Vermögensgegenstände beschränkt.
Die
rechtlichen Grundlagen der Rückerstattung sind im Wesentlichen im
Gesetz No. 59 der US-Militärregierung, dem Gesetz No. 59 der
Britischen Militärregierung, der Rückerstattungsanordnung der
Alliierten Kommandantur für das Land Berlin, der Verordnung No. 120
der französischen Militärregierung sowie dem
Bundesrückerstattungsgesetz (BRüG) festgelegt. Zunächst mussten die
Ansprüche bei zentralen Anmeldestellen angemeldet werden. Diese
leiteten die Anmeldungen an das zuständige Wiedergutmachungsamt
weiter. In der britischen und amerikanischen Zone erfolgte die Prüfung
und Bescheidung der Rückerstattungsansprüche im Schiedsverfahren. In
der französischen Zone erging ein Urteil im Klageverfahren. Je nachdem
waren in den Besatzungszonen bzw. den Bundesländern Behörden oder
entsprechende Stellen bei Gerichten (Wiedergutmachungsämter,
Schlichter für Wiedergutmachungssachen, Restitutionskammern) mit der
Rückerstattung betraut. Kam es nicht zu einem Vergleich zwischen den
Parteien bzw. wurde das Urteil angefochten, begann ein dreistufiger
Instanzenzug. Dieser führte über die Wiedergutmachungskammern der
jeweiligen Landgerichte und die Wiedergutmachungssenate bei den
Oberlandesgerichten bis zu den obersten Rückerstattungsgerichten der
Besatzungsmächte bzw. dem ORG.
Die Errichtung
und die Befugnisse des ORG beruhten auf dem am 5. Mai 1955 in Kraft
getretenen sogenannten Überleitungsvertrages, einem Teil der
Bonn-Pariser Verträge zur Beendigung des Besatzungsregimes in der BRD
(BGBl. 1955 II S. 423ff.). Die besatzungsrechtliche
Rückerstattungsgesetzgebung wurde in diesem Vertrag aufrechterhalten.
Daher trat das ORG die Funktionsnachfolge der bereits 1949 in den drei
westlichen Besatzungszonen gegründeten obersten
Rückerstattungsgerichte, d.h. des Rückerstattungsberufungsgerichts der
US-amerikanischen Zone, des Obersten Rückerstattungsberichts für die
britische Zone und des französischen Obergerichts für
Rückerstattungssachen, an. Das mit Gesetz Nr. 25 der Alliierten
Kommandantur Berlin vom 25. April 1953 errichtete Oberste
Rückerstattungsgericht für Berlin blieb wegen der Sonderstellung
Berlins daneben bestehen. Die Zusammensetzung, Zuständigkeit,
Befugnisse und Obliegenheiten des ORG richteten sich nach der als
Anhang zum 3. Teil des „Überleitungsvertrages" beigefügten Satzung.
Das ORG setzte sich aus dem Präsidenten des Gerichts, dem Präsidium
und den drei Senaten zusammen. Die Verwaltung des Gerichts war dem
Bundesministerium der Justiz nachgeordnet. Das ORG stand wie seine
Funktionsvorgänger außerhalb der deutschen Gerichtsorganisation. Bei
Streitigkeiten über die Zuständigkeit des ORG konnte das nach Art. 9
des Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und den drei Mächten gebildete Schiedsgericht angerufen
werden, das mit bindender Wirkung für das ORG und alle deutschen
Gerichte und Behörden entschied (Art. 9 Abs. 3 der Satzung). Aufgrund
des internationalen Charakters des Gerichts hat das
Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit, es anzurufen, nicht als
Rechtsweg im Sinne von § 90 BVerfGG angesehen (BVerfGE 4, 212 [213]).
Aus denselbem Grund wurden Entscheidungen des ORG nicht als Akte
deutscher öffentlicher Gewalt verstanden, die der Nachprüfbarkeit
durch das Bundesverfassungsgerichts im Wege der Verfassungsbeschwerde
unterliegen.
Das Präsidium entsprach in etwa
einem Verwaltungsrat und erledigte Aufgaben verwaltungstechnischer und
organisatorischer Art. Es bestand ursprünglich aus den Präsidenten der
drei Senate, einem von der Bundesregierung zu bestimmenden Richter aus
jedem Senat sowie einem von der beteiligten Macht zu bestimmenden
Richter aus jedem Senat. Die Senatspräsidenten wurden gemeinsam von
der deutschen Regierung und der jeweils beteiligten Macht ernannt. Sie
durften weder deutsche Staatsangehörige noch Staatsangehörige einer
der drei beteiligten Mächte sein. Laut Satzung gab es keinen ständigen
Präsidenten des gesamten ORG, vielmehr wechselten sich zunächst die
Senatspräsidenten in diesem Amt ab. Seit dem Jahr 1975 amtierte ein
einziger Präsident mit einem Stellvertreter. Seine Aufgabe war die
Leitung des Präsidiums und die Festsetzung seiner Sitzungen.
Die drei Senate übernahmen die Rechtsnachfolge der
obersten Rückerstattungsgerichte in den Besatzungszonen. Dabei trat
der 1. Senat die Nachfolge des Obergerichts für Rückerstattung in der
französischen Zone (Cour Supérieure pour les Restitutions (CSR)) mit
Sitz in Rastatt, der 2. Senat die Nachfolge des Obergerichts für die
britische Zone (Supreme Restitution Court for the British Zone, später
Board of Review (BOR)) mit Sitz in Herford und der 3. Senat die des
amerikanischen Rückerstattungsgerichts (zunächst Board of Review, dann
Court of Restitutional Appeals (CORA)) mit Sitz in Nürnberg an.
Lediglich beim CSR waren deutsche Richter an den Entscheidungen
beteiligt und auf das Revisionsverfahren fanden die Vorschriften der
§§ 545-566 der deutschen Zivilprozessordnung Anwendung. Die beiden
anderen obersten Rückerstattungsgerichte waren mit amerikanischen bzw.
britischen Richtern besetzt und die Verfahren waren von
angelsächsischem Recht geprägt. Diese Unterschiede in der
Verfahrensführung blieben auch nach der Gründung des ORG
bestehen.
Jeder Senat des ORG bestand aus einem
Vorsitzenden sowie zwei von der Bundesregierung und zwei von der
Regierung des jeweils beteiligten Staates ernannten Richtern. Der
Vorsitzende wurde durch eine Vereinbarung zwischen der Bundesregierung
und der Regierung der jeweils beteiligten Macht ernannt. Er war weder
deutscher Staatsangehöriger noch Staatsangehöriger einer der Drei
Mächte.
Die Amtssprachen des Präsidiums waren
deutsch, französisch und englisch, die Amtssprachen im 1. Senat waren
deutsch und französisch, die im 2. und 3. Senat deutsch und
englisch.
Nach der Zusammenfassung der
Vorgängergerichte zum ORG behielten die drei Senate zunächst den Sitz
ihrer Vorgängergerichte bei. Mit rückläufiger Arbeitsbelastung wurde
im Jahr 1961 der Sitz des 3. und im Jahr 1968 der Sitz des 1. Senats
nach Herford verlegt. Mit der Verlegung des Sitzes des ORG nach
München im November 1984 urteilten alle 3 Senate in München. Mit dem
Gesetz zur Überleitung der Zuständigkeit der Obersten
Rückerstattungsgerichte auf den BGH vom 17. Dezember 1990 (BGBl. 1990
I S. 2862) wurde das ORG aufgelöst.
Bestandsbeschreibung:
Bestandsgeschichte
Der Bestand B 215 Oberstes
Rückerstattungsgericht umfasst Unterlagen mit einer Laufzeit von
1950-1990, welche in den Jahren 1977, 1984, 1987 und 1991 an das BArch
abgegeben wurden. Die Unterlagen bestehen aus General-, Verfahrens-
und Personalakten sowie Entscheidungssammlungen, Verfahrensregister
und Karteifindmittel der einzelnen Senate des Gerichts. Es existieren
Abgabelisten, die zu zwei sich nur durch einige handschriftliche
Vermerke unterscheidenden „Findbüchern" zusammengefasst sind. Die
einzelnen Aufbewahrungseinheiten sind nicht vorsigniert.
Archivische Bewertung und Bearbeitung
Der Bestand besteht zu einem kleinen Teil aus den
Verwaltungsakten des ORG und zum großen Teil aus den Verfahrensakten
der drei Senate ORG bzw. seiner Rechtsvorgänger in Rastatt, Herford
und Nürnberg. Abgegeben wurden Verwaltungsakten des Präsidenten, des
Präsidiums (v.a. Protokolle der Präsidiumssitzungen sowie Beschlüsse
des Präsidiums im Umlaufverfahren), der Geschäftsstellen der drei
Senate, Personalakten sowie die jährlich erstellten Tätigkeitsberichte
des ORG sowie Organisations- und Stellenpläne. Während die
Richterhandakten und die originären Unterlagen der Verfahren nach dem
Baden-Badener Abkommen nach Präsidiumsbeschluss vom ORG vernichtet
wurden, sind die Prozessakten der drei Vorgängereinrichtungen in
Rastatt, Herford und Nürnberg sowie die Prozessakten der drei Senate
des ORG überliefert. Ebenso ins Bundesarchiv gelangten die Unterlagen,
die in der Geschäftsstelle des 2. Senats in der Durchführung des
sogenannten Baden-Badener Verfahrens angelegt wurden.
Der Bestand blieb zunächst gänzlich unbearbeitet. Im
Jahr 2012 wurde mit der Bearbeitung begonnen. Die Bewertung und
Erschließung der Verwaltunsakten ist mittlerweile abgeschlossen,
ebenso die Erschließung der Verfahren nach dem sogenannten
Baden-Badener Abkommen. Die Verwaltungsakten wurden insofern mit A
bewertet, als sie sie die Konstituierung und Funktionsweise des ORG
als internationales Gericht dokumentieren. Die Verfahren gemäß dem
Baden-Badener Abkommen wurden aufgrund der darin nachvollziehbaren
richterlichen Entscheidungsfindung in ihrer Gänze mit A bewertet.
Anhand eines Bewertungsmodells und einer Handreichung zur Erschließung
von Verfahrensakten des Best. B 215 ist die Bewertung und Erschließung
der Verfahrensakten des ORG und seiner Vorgängergerichte momentan in
Bearbeitung.
Inhaltliche Charakterisierung:
Verwaltungsakten (Unterlagen des Präsidenten, des Präsidiums, der
Geschäftsstellen der 3 Senate, Personalakten, Tätigkeitsberichte,
Organisations- und Stellenpläne)
Prozessakten
der drei Vorgängergerichte in Rastatt, Herford und Nürnberg;
Prozessakten der drei Senate; Die in der Geschäftsstelle des 2. Senats
aufbewahrten Unterlagen, die in Durchführung des sogenannten
Baden-Badener Abkommens entstanden sind.
Erschließungszustand: Bewertung
und Erschließung der Verwaltungsakten sowie der Verfahren nach dem
sogenannten Baden-Badener Abkommen ist abgeschlossen. Bewertung und
Erschließung der Prozessakten nach Bewertungsmodell und
Verzeichnungshandreichung in Bearbeitung.
Vorarchivische Ordnung: Die
Prozessakten sind erschlossen durch vom ORG bzw. seinen Vorgängern
angelegten (Namens)Karteien und diversen Registern.
Zitierweise: BArch B
215/...
- Bestandssignatur
-
Bundesarchiv, BArch B 215
- Umfang
-
2510 Aufbewahrungseinheiten; 78,7 laufende Meter
- Sprache der Unterlagen
-
deutsch
- Kontext
-
Bundesarchiv (Archivtektonik) >> Bundesrepublik Deutschland mit westalliierten Besatzungszonen (1945 ff) >> Bundesrepublik Deutschland (1949 ff) >> Justiz
- Bestandslaufzeit
-
1950-1990
- Provenienz
-
Oberstes Rückerstattungsgericht (ORG), 1955-1990
- Weitere Objektseiten
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Zugangsbeschränkungen
-
Besondere Benutzungsbedingungen: 60-Jahres-Schutzfrist für sämtliche Verfahrensakten. D.h. für die Prozessakten der drei Senate und ihrer Rechtsvorgänger sowie die Unterlagen, die im Zuge des sogenannten Baden-Badener Abkommens entstanden sind.
- Letzte Aktualisierung
-
16.01.2024, 08:43 MEZ
Datenpartner
Bundesarchiv. Bei Fragen zum Objekt wenden Sie sich bitte an den Datenpartner.
Objekttyp
- Bestand
Beteiligte
- Oberstes Rückerstattungsgericht (ORG), 1955-1990
Entstanden
- 1950-1990