Eine kurze Geschichte des Mikrofilms und wie er Paris die Kommunikation ermöglichte

23.11.2016 Wiebke Hauschildt (Online-Redaktion)

Die Geschichte des Mikrofilms ist auch die Geschichte einiger sehr heroischer Brieftauben, deren Arbeitsumfeld während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 sicherlich nicht zu den attraktivsten gehörte. Paris wurde während dieses Krieges viereinhalb Monate von den Preußen belagert, die postalischen und telegrafischen Kommunikationswege waren unterbrochen.

Am 2. September 1870 wurde der Vorschlag gemacht, die Tauben von Paris mit Heißluftballons aus der Stadt zu transportieren in der Annahme, sie würden dann – ausgestattet mit Nachrichten – wieder in die Stadt reinfliegen.

Die Nachrichten wurden anfänglich in sehr kleiner Schrift auf sehr dünnem Papier verfasst, um das Startgewicht der Brieftauben bei Abflug nicht unnötig in die Höhe zu treiben und trotzdem eine möglichst große Menge an Informationen zu transportieren. Solange bis René Dagron dem französischen Postmeister General Germaine Rampont-Lechin empfahl, seine neue Methode zu verwenden: auf Filmmaterial verkleinerte Abbildungen von Dokumenten, heute auch bekannt als Mikrofilm.

Gemeinsam reisten sie nach Tours, wo der Chemiker Charles Barreswil bereits Dokumente fotografisch verkleinert hatte. Hier optimierte Dagron seine Technik derart, dass eine Taube 20 seiner winzigen Drucke transportieren konnte. Die tierische Luftpost konnte so über 150.000 Spulen Mikrofilm nach Paris fliegen – zumindest so lange, bis die Preußen auf die Tauben aufmerksam wurden und Falken und Habichte einsetzten, um die Vögel vom Himmel zu holen. Es war keine gute Zeit, um eine Brieftaube zu sein.

Dancer, Dagron und belgische Informationswissenschaftler

Auch wenn René Dagron sich 1859 den Mikrofilm patentieren ließ, war der eigentliche Erfinder der „Mikrofotografie“ ein Brite namens John Benjamin Dancer (1812 – 1887). Dancer übernahm 1835 die Optik-Firma seines Vaters in Manchester. Vier Jahre später hatte er herausgefunden, wie man große Bilder auf eine Ratio von 160:1 schrumpfen konnte und der Mikrofilm war geboren. Der Franzose René Dagron (1819 – 1900), Fotograf und Erfinder seines Zeichens, entwickelte Dancers Erfindung weiter und trug zu einer Standardisierung der Herstellungsprozesse bei. Als es darum ging, wozu diese neue Technik zu verwenden sei, kam Dagron der Deutsch-Französische Krieg gerade recht.

Nicht alle waren nämlich von der Erfindung überzeugt. Im „Dictionary of Photography“ von 1858 wird der Prozess der Mikrophotographie noch als „unbedeutend und kindisch“ bezeichnet. Nach dem Luftposterfolg dauerte es danach über drei Jahrzehnte bis die Erfindung 1906 von den Belgiern Paul Otlet und Robert Goldschmidt identifiziert wurde, um platzsparend Informationen zu speichern. Otlet gilt dabei auch als „Vater der Informationswissenschaft“ – er erfand die Universelle Dezimalklassifikation, eine Bibliotheksklassifikation, die heute noch zur Erschließung von Bibliotheksbeständen eingesetzt wird. Er war darüber hinaus dafür verantwortlich, dass die amerikanische Karteikarte in Europa für Bibliothekskataloge eingeführt wurde.

Goldschmidt und Otlet veröffentlichen 1906 gemeinsam einen Essay: „Sur une forme nouvelle du livre: le livre microphotographique“. Sie betonen, dass aus wissenschaftlicher Perspektive Bücher nicht die beste Option seien, um Informationen aufzubewahren, da der Zugang zu Bibliotheken nicht immer ein einfacher sei. Deshalb benötige man eine „neue Art von Buch“, die den Zugang erleichtere: die Mikrofotografie (später umbenannt in Mikrofilm oder Mikrofiche).

Otlets und Goldschmidts Plädoyer für den Mikrofilm fand nur langsam Gehör. Zwischen 1927 und 1935 begann allerdings die amerikanische Library of Congress damit, mehr als drei Millionen Seiten von Büchern und Manuskripten zu mikrofilmieren. Ebenfalls 1935 begann Kodaks „Recordak division“ damit, die New York Times auf 35 Millimeter Spulen Mikrofilm abzuspeichern – die Ära der Zeitungspräservation auf Film war angebrochen.

Der Mikrofilm produziert keine 404-Fehler (Seite nicht gefunden)

Das Internet übernimmt als digitaler Speicher heutzutage häufig die Funktion von Mikrofilmen und Mikrofiches. Doch hat der Mikrofilm einen entscheidenden Vorteil gegenüber der digitalen Archivierung: Mit einfachen Mitteln können die gespeicherten Inhalte sichtbar gemacht werden – auch in über 500 Jahren, wenn die Technik längst viel weiter ist und das Retrieval von Informationen, die mit heutigen Technologien digital gespeichert wurden, sehr schwierig geworden sein wird. Und auch das ist ein Vorteil des Mikrofilms: seine Haltbarkeit. Bei richtiger Lagerung kann er noch in hunderten von Jahren gelesen werden – mit einer Lupe und etwas Licht.

Die Projekte zur Langzeitarchivierung der Inhalte unserer Archive, Bibliotheken, Museen und generell unseres kulturellen und intellektuellen Erbes sind vielfältig. Ein Projekt, das mit Mikrofilm arbeitet, ist der „Zentrale Bergungsort der Bundesrepublik Deutschland“ im Barbarastollen in der Nähe Freiburgs, wo über 900 Millionen Aufnahmen auf Mikrofilm aus Archiven und Museen gelagert werden. Auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sichert hier Bestände: Die Dokumente des Aufbau-Verlags, die in der Staatsbibliothek zu Berlin liegen, und der Bestand des preußischen Justizministeriums aus dem Geheimen Staatsarchiv beispielsweise. Der Stollen liegt über 400 Meter tief und soll sowohl natürliche als auch menschengemachte Katastrophen überstehen. Mindestens 500 Jahre soll hier das kulturelle Erbe Deutschlands ohne Schäden überleben können.

In der Deutschen Digitalen Bibliothek stehen über 180.000 Objekte, die auf Mikrofilm aufgenommen wurden, zur Verfügung – Noten, Grafiken, Zeitungen und Bücher, aber auch historische Landkarten. Nicht nur die Langzeitarchivierung unseres kulturellen Erbes ist bedeutend, ebenso ist der Zugang zu den digitalisierten Mikrofilmen notwendig, weil so die Informationen und Daten über die Objekte unabhängig von Ort und Zeit prinzipiell jedem zur Verfügung stehen können.

Schlagworte: